Rz. 56
Der Aufstockungsunterhalt dient der Anpassung der Einkommensverhältnisse des geschiedenen Ehegatten an die ehelichen Lebensverhältnisse und gehört daher nicht mehr in den Kernbereich. Hier ist die Dispositionsfreiheit der Beteiligten am größten.
Rz. 57
Es sind drei Fallgruppen zu unterscheiden:
Die erste Fallgruppe bildet der "reine" Aufstockungsunterhalt für den geschiedenen Ehegatten, der seinen angemessenen Bedarf aus eigener Kraft deckt oder decken kann und Unterhalt zum Erhalt des vollen ehelichen Lebensbedarfs erhält. Dieser Anspruch ist gemäß § 1578b Abs. 1 und 2 BGB sowohl begrenz- als auch befristbar. Er bildet gegenüber dem Grundsatz der Eigenverantwortung gemäß § 1569 BGB die schwächste Ausnahme und ist daher im Zweifel voll disponibel. Kritisch sind hier eventuell Fälle sehr langer Ehedauer und die nicht seltenen Fälle, in denen eine erhebliche Diskrepanz zwischen den Eheleuten besteht, weil die Ehefrau ohne abgeschlossene Berufsausbildung oder jedenfalls ohne beruflichen Status in die Ehe gegangen ist und der durch die eigene Lebensstellung vor der Ehe geprägte Bedarf extrem hinter den ehelichen Lebensverhältnissen zurückbleibt. Man denke beispielsweise an die Studentin der Kunstgeschichte, die in jungen Semestern den Kommilitonen und späteren Unternehmer kennenlernt, nach Abschluss oder Abbruch ihres Studiums heiratet und in der Ehe keiner Berufstätigkeit nachgeht. In solchen Fällen lassen sich ehebedingte Nachteile oft nicht darstellen. Der angemessene Bedarf einer solchen Geschiedenen ist extrem gering und liegt möglicherweise nicht unter dem Mindestbedarf von 770 EUR monatlich. Hier kann ein Totalausschluss des Aufstockungsunterhalts objektiv zu einer einseitigen Lastenverteilung führen, die einer kritischen Überprüfung bedarf.
Rz. 58
Die zweite Fallgruppe erfasst den Aufstockungsunterhalt, der den gleichzeitig bestehenden Anspruch auf Betreuungsunterhalt ergänzt. Der Betreuungsunterhalt im eigentlichen Sinne betrifft nur den Unterhaltsbedarf, den der betreuende Elternteil bezogen auf seine eigenen Möglichkeiten, ein Erwerbseinkommen zu erzielen, hat. Soweit in der Phase der Kindererziehung Unterhalt nach dem Maßstab der darüber hinausgehenden, durch höheres Einkommen des Unterhaltspflichtigen geprägten ehelichen Lebensverhältnisse verlangt wird, handelt es sich um Aufstockungsunterhalt. Diese Zweiteilung des Unterhaltsanspruchs kann es rechtfertigen, den über den angemessenen Bedarf hinausgehenden Unterhalt auch im Falle der Betreuung auszuschließen. Nach Ansicht des Verfassers führt ein solcher Ausschluss aber dann zu einer objektiv einseitigen Lastenverteilung, wenn die nach § 1578b Abs. 1 BGB zu berücksichtigenden Belange des betreuten Kindes einem Ausschluss oder einer Begrenzung des Unterhalts entgegenstehen. Denn dem betreuenden Elternteil muss eine Lebensführung möglich bleiben, der dem gemäß § 1601 Abs. 1 BGB aus den Lebensverhältnissen des anderen Elternteils hergeleiteten Unterhaltsbedarf des betreuten minderjährigen Kindes entspricht (siehe oben Rdn 48).
Rz. 59
Die dritte Fallgruppe bilden die Fälle des Aufstockungsunterhalts zur Ergänzung des Anspruchs auf Kranken- und Altersunterhalt. Hier wird ein Unterhaltsanspruch, soweit keine ehebedingten Nachteile auszugleichen sind, ausgeschlossen werden können.