Rz. 25
Wurden Eheverträge lange Zeit unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Vertragsfreiheit gesehen, in deren Ausübung die Eheleute in einer partnerschaftlich geprägten Vereinbarung die persönlichen und wirtschaftlichen Grundlagen ihrer Ehe frei und eigenverantwortlich regeln, so sind durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 2001 die von der privatrechtlichen Wirkung der Grundrechte ausgehenden Schutzfunktionen auch auf Eheverträge angewendet worden. Die grundsätzlich durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährte Vertragsfreiheit muss danach beiden Seiten gewährt werden. Es verstößt gegen die allgemeine Handlungsfreiheit und den Gleichheitssatz, wenn vertragliche Lasten besonders einseitig verteilt werden und dies Folge einer erheblich ungleichen Verhandlungsposition, mithin Fremdbestimmung ist. Außerdem gebietet es der Schutz aus Art. 6 Abs. 2 GG, vertraglichen Abreden der Eltern Grenzen im Interesse des Kindeswohls zu setzen.
In weiteren Entscheidungen vom 5.2.2002 und 20.5.2003 hat das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 2 GG den Grundsatz der Gleichstellung von Erwerbs- und Familienarbeit hergeleitet und den Grundsatz der gleichen Teilhabe am gemeinsam Erwirtschafteten betont, wie er hinsichtlich der Versorgung und Aufteilung gemeinsamen Vermögens durch die gesetzlichen Bestimmungen über den Zugewinnausgleich und den Versorgungsausgleich ausgeprägt ist.
1. Kernbereichslehre des Bundesgerichtshofs
Rz. 26
Der Bundesgerichtshof hat in seiner grundlegenden Entscheidung vom 11.2.2004 die Wirksamkeits- und Ausübungskontrolle von Eheverträgen folgendermaßen strukturiert: Es gibt keinen allgemeinen, abstrakten Maßstab für die Beurteilung, ob ein Ehevertrag unwirksam ist (§ 138 BGB) oder die Berufung auf alle oder einzelne vertragliche Regelungen gegen Treu und Glauben verstößt (§ 242 BGB). Erforderlich ist vielmehr eine Gesamtschau der getroffenen Vereinbarungen, der Gründe und Umstände ihres Zustandekommens sowie die beabsichtigte und verwirklichte Gestaltung des ehelichen Lebens.
Ehegatten sind grundsätzlich in der Gestaltung der wirtschaftlichen Grundlage ihrer Ehe frei und berechtigt, familienrechtliche Ansprüche auf Unterhalt, Versorgungsausgleich und Zugewinn auszuschließen. Es gibt keinen gesetzlichen, unantastbaren Mindestschutz.
Rz. 27
Die Vertragsfreiheit darf aber nicht dazu führen, den Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen beliebig zu unterlaufen. Zu beanstanden ist eine evident einseitige und durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung, die für den belasteten Ehegatten bei angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten und bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar ist. Die Belastungen des Ehegatten wiegen dabei umso schwerer und bedürfen einer umso genaueren Prüfung der die Belastung rechtfertigenden Belange des anderen Ehegatten, je unmittelbarer die vertragliche Abbedingung gesetzlichen Regelungen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift.
Rz. 28
Zu diesem Kernbereich gehören in dieser Rangfolge:
▪ |
Unterhalt wegen Kindesbetreuung und Anschlussunterhalt nach Ende der Kindesbetreuung einschließlich Altersvorsorgeunterhalt |
▪ |
Alters- und Krankheitsunterhalt |
▪ |
Versorgungsausgleich |
▪ |
nachrangig: Unterhalt wegen Erwerbslosigkeit einschließlich Altersvorsorgeunterhalt |
▪ |
weiter nachrangig: Aufstockungs- und Ausbildungsunterhalt. |
Rz. 29
Regelungen über den Güterstand fallen nicht in den Kernbereich, da auch der Grundsatz der ehelichen Solidarität es nicht gebietet, den anderen Ehegatten an der Vermögensentwicklung teilhaben zu lassen, was auch die gesetzlich in § 1408 BGB ausdrücklich vorgesehen Möglichkeit der Vereinbarung von Gütertrennung voraussetzt. Der Bundesgerichtshof ist der Auffassung, dass auch die Gleichwertigkeit von Familien- und Erwerbsarbeit keine bestimmte Strukturierung der ehelichen Vermögenssphäre gebiete. Vielmehr sieht es der Bundesgerichtshof als Ausprägung der Vertragsfreiheit der Eheleute an, von dem Leitbild abzuweichen, dass Familien- und Erwerbsarbeit als gleichwertig anzusehen sind, und den beiderseitigen Beitrag zur Verwirklichung der ehelichen Lebensverhältnisse unterschiedlich zu gewichten. Allerdings darf der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen nicht beliebig unterlaufen werden.
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