Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
a) Rechtliche Grundlagen
Rz. 412
Ein geschiedener Ehegatte kann einen Unterhaltsanspruch gemäß § 1573 Abs. 2 BGB haben, wenn er, obwohl er seine Erwerbsobliegenheit voll erfüllt, nicht genug verdient, um seinen Unterhaltsbedarf gemäß § 1578 BGB zu decken.
Rz. 413
Die Aufgabe einer sicheren Arbeitsstelle mit geringem Einkommen zugunsten einer unsicheren Arbeitsstelle mit höherem Einkommen kann in der Regel nicht verlangt werden, wohl aber – nach den Umständen des Einzelfalls – ggf. ein Berufswechsel, ein Wechsel des Wohnorts oder die Aufnahme einer unter der beruflichen Qualifikation liegenden Zusatztätigkeit.
Hat der Gläubiger kein oder nur geringes Einkommen, weil er keine qualifizierte Ausbildung hat, so ist er verpflichtet, eine Ausbildung aufzunehmen oder sich zumindest fortzubilden. Die damit verbundenen zusätzlichen Kosten hat der Schuldner zu tragen; sie werden bei der Unterhaltsberechnung vorweg von seinem Einkommen – in der Regel für die Dauer der Ausbildung – abgezogen.
Hat der Gläubiger kein oder nur geringes Einkommen, obwohl ihm eine Erwerbstätigkeit oder deren Ausweitung zumutbar ist, so muss er sich bei der Unterhaltsberechnung ein fiktives Einkommen in Höhe desjenigen Betrages entgegenhalten lassen, den er verdienen könnte.
Rz. 414
Wenn der Gläubiger voll erwerbstätig ist, ergibt sich der Anspruch ausschließlich aus § 1573 Abs. 2 BGB. Ist der Gläubiger nur teilweise erwerbstätig, muss man bedenken, dass § 1573 BGB einen Auffangtatbestand darstellt, die übrigen Anspruchsgrundlagen gehen vor: Nur soweit kein Unterhaltsanspruch wegen Kindesbetreuung, Alters oder Krankheit (§§ 1570 bis 1572 BGB) besteht, kann Aufstockungsunterhalt gemäß § 1573 Abs. 2 BGB verlangt werden. Ein Unterhaltsanspruch kann sich in diesen Fällen also teilweise aus §§ 1570 bis 1573 Abs. 1 BGB (z.B. wenn wegen Kindesbetreuung nur eine Teilzeitbeschäftigung zumutbar ist oder wenn eine Teilzeittätigkeit wegen Krankheit, Alters oder aus Arbeitsmarktgründen nicht ausgeweitet werden kann) und im Übrigen aus § 1573 Abs. 2 BGB ergeben (weil das Einkommen nicht den Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen deckt). Es muss daher immer zunächst geprüft werden, ob und ggf. inwieweit ein Unterhaltsanspruch auf §§ 1570, 1571, 1572, 1573 Abs. 1 BGB gestützt werden kann.
Rz. 415
Auch wegen einer möglichen Unterhaltsbegrenzung gemäß § 1578b BGB muss festgestellt werden, aus welcher Gesetzesregelung der Unterhaltsanspruch abgeleitet wird. Denn durch den Unterhalt sollen letztlich i.d.R. ehebedingte Nachteile ausgeglichen werden. Es ist also bei jedem Unterhaltstatbestand zu fragen, inwieweit die Ehe zumindest mitursächlich dafür ist, dass der wirtschaftlich schwächere Ehegatte nur schlechte Einkommensmöglichkeiten hat. Konkret müssen einander gegenübergestellt werden die tatsächliche Situation und die fiktive Situation, wie sie ohne die Ehe gegeben wäre. Nur soweit die Ehe zu einer Verschlechterung geführt hat, kann i.d.R. – je nach Ehedauer nur für eine gewisse Übergangszeit – ein Anspruch bestehen. Beispiele: Der Ehegatte, der schon bei der Heirat krank war oder während der Ehe (nicht als Folge der Ehe) erkrankt ist, wird – je nach Ehedauer – i.d.R. keinen dauerhaften Unterhaltsanspruch haben, da er ja auch ohne die Ehe nur das gleiche, krankheitsbedingt geminderte Einkommen hätte. Das kann – je nach Ehedauer – ebenso für den Altersunterhalt gelten.
aa) Einsatzzeitpunkt
Rz. 416
§ 1573 Abs. 1 BGB, der den Unterhaltsanspruch wegen Erwerbslosigkeit behandelt, enthält im Wortlaut den Einsatzzeitpunkt "Scheidung der Ehe". Ein solcher Hinweis fehlt in § 1573 Abs. 2 BGB. Der BGH verweist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf, dass die in § 1573 Abs. 3 und 4 BGB enthaltenen Regelungen nicht verständlich wären, wenn für den Anspruch nach § 1573 Abs. 2 anders als in Abs. 1 nicht die Scheidung der Ehe als Einsatzzeitpunkt gelten würde. Richtig ist deshalb, dass ein "enger zeitlicher Zusammenhang" mit der Scheidung bestehen muss.
Der Anspruch muss aber nicht unbedingt zum Einsatzzeit...