Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
a) Rechtliche Grundlagen
aa) Normzweck
Rz. 425
Leidet ein – früherer – Ehepartner unter einer dauerhaften, nicht nur vorübergehenden Krankheit, erstreckt sich die eheliche Solidarität auf den nachehelichen Zeitraum. Die Verantwortung der früheren Ehegatten füreinander erschöpft sich nicht nur im Ausgleich ehebedingter Nachteile. Allgemein kann vom – früheren – Ehepartner eine nacheheliche Solidarität erwartet werden, die sich gerade im Krankheitsfall verwirklicht. Der Unterhaltsanspruch wegen Krankheit besteht deshalb auch dann, wenn die Krankheit ganz unabhängig von der Ehe und ihrer Ausgestaltung durch die Ehegatten eingetreten ist.
Der Anspruch ist nicht nur dann gegeben, wenn eine voreheliche Erkrankung bekannt war oder die Krankheit erst während der Ehezeit ausgebrochen ist. Auch wenn eine voreheliche Erkrankung nicht bekannt war, entfällt die fortwirkende nacheheliche Solidarität nicht. Zu prüfen ist namentlich in solchen Fällen jedoch, ob nicht nach § 1578b BGB eine höhenmäßige Begrenzung und/oder Befristung in Betracht kommt.
Der Anspruch auf Unterhalt wegen Krankheit nach § 1572 BGB besteht unter drei Voraussetzungen:
▪ |
Vorliegen einer Krankheit, eines anderen Gebrechens oder Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte; |
▪ |
eine angemessene Erwerbstätigkeit ist aus krankheitsbedingten Gründen nicht oder nur teilweise zu erwarten; |
▪ |
einer der im Gesetz genannten Einsatzzeitpunkte ist gegeben. |
bb) Krankheit
Rz. 426
Der Krankheitsbegriff ist weit auszulegen und entspricht den entsprechenden Begriffen im Sozialversicherungs- und Beamtenrecht. Krankheit ist danach ein "objektiv fassbarer regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf". Der Krankheit stehen Gebrechen oder Schwächen der körperlichen oder geistigen Kräfte gleich.
Gebrechen sind von der Regel abweichende körperliche oder geistige Zustände, mit deren Dauer für nicht absehbare Zeit zu rechnen ist, beispielsweise Taubheit, Blindheit, körperliche Behinderungen, aber auch Altersabbau, geringe Intelligenz, Schwachsinn und sonstige, nicht kompensierbare Persönlichkeitsstörungen.
Auch Suchterkrankungen ohne Verschuldensaspekt, z.B. durch Alkohol, Drogen oder Medikamente, fallen hierunter, sofern sie dazu führen, dass der Unterhaltsberechtigte infolge der dadurch hervorgerufenen Willensschwäche keine geregelte Erwerbstätigkeit durchhalten könnte. In gleicher Weise trifft dies für Übergewicht oder Magersucht zu.
Wegen des weiten Krankheitsbegriffs des § 1572 BGB ist auch eine Depression eine Erkrankung mit der möglichen Folge eines Unterhaltsanspruchs nach § 1572 BGB. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob die Depression im Zusammenhang mit der Ehe oder als Folge der Trennung und Scheidung entstanden ist. Zu unterscheiden ist aber eine lediglich depressive Verstimmung, die in der Regel vorübergehender Natur ist, von der schweren, ggf. rezidivierenden Depression. Lediglich die letztere Art der Depression ist geeignet, einen Unterhaltsanspruch nach § 1572 BGB zu begründen.
Unter den Krankheitsbegriff des § 1572 BGB fallen auch Personen, die in Folge einer seelischen Störung, z.B. einer Neurose, erwerbsunfähig sind. In Fällen von Renten- und Unterhaltsneurosen flüchten sich Unterhaltsberechtigte aus Angst, ihren Renten- oder Unterhaltsanspruch zu verlieren, in eine Krankheit. Als Krankheit i.S.d. § 1572 BGB sind solche seelischen Störungen dann anzusehen, wenn sie aus eigener Kraft nicht überwindbar sind.
Rz. 427
Die Erkrankung muss langfristig angelegt sein. Bei kurzfristigen Erkrankungen besteht in der Regel bei Erwerbstätigen ein Anspruch auf Lohnersatzleistungen wie Krankengeld etc. Soweit und solange solche Leistungen gewährt werden, besteht kein Anspruch nach § 1572 BGB. Unfallrenten haben neben dem Entschädigungscharakter auch Lohnersatzfunktion, so dass sich ihre Zahlung bedarfsmindernd auswirkt.
Die Krankheit des Berechtigten muss ursächlich dafür sein, dass keine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden kann. Der ursächliche Zusammenhang bedarf sorgfältiger Prüfung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine medizinische Wahrheit nicht gerechtfertigte Untätigkeit auf Kosten des ehemaligen Ehegatten über einen Unterhaltsanspruch finanziert wird.
Kann der Berechtigte in Folge von Krankheit seinen ursprünglichen Beruf nicht mehr ausüben, demgegenüber jedoch einen anderen Beruf, der eine angemessene Erwerbstätigkeit darstellt, besteht ein Anspruch aus § 1572 BGB nicht. Zumutbarkeitsmaßstab ist die angemessene Erwerbstätigkeit.