Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
a) Dauerndes Getrenntleben
Rz. 18
Voraussetzung für einen Antrag nach § 1671 Abs. 1 BGB ist "nicht nur vorübergehendes" Getrenntleben der Ehepartner. Gefordert wird Getrenntleben i.S.d. § 1567 Abs. 1 BGB, so dass auch eine Trennung innerhalb der Ehewohnung (§ 1587 Abs. 1 S. 2 BGB) ausreicht.
Während nach § 1567 Abs. 2 BGB ein Versöhnungsversuch über kürzere Zeit, worunter die Rechtsprechung i.d.R. einen Versöhnungsversuch bis zu drei Monaten versteht, die Trennungsfristen i.S.d. § 1566 BGB nicht unterbricht, soll allerdings auch ein kürzeres, der Versöhnung dienendes Zusammenleben eine Sorgerechtsentscheidung nach § 1671 BGB mangels dauernden Getrenntlebens ausschließen.
b) Herstellen von Einvernehmen möglich?
Rz. 19
Nach § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB hat das Gericht dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge oder eines Teils der elterlichen Sorge stattzugeben, soweit der andere Elternteil zustimmt. Eine Ausnahme gilt nur, wenn das Kind das 14. Lebensjahr vollendet hat und der Übertragung widerspricht. Das Familiengericht ist also nach dem Gesetzeswortlaut an eine Einigung der Eltern gebunden, ohne dass es noch eine selbstständige Kindeswohlprüfung anzustellen hätte. Der Gesetzgeber unterstellt, dass eine dem gemeinsamen Willen der Eltern entsprechende Sorgerechtsregelung in aller Regel am besten dem Kindeswohl entspricht und im Spannungsverhältnis zwischen Elternautonomie und Kindeswohlgefährdung ein Eingriffsrecht erst unter den Voraussetzungen des § 1666 BGB gegeben ist.
Rz. 20
Im Interesse der betroffenen Kinder, aber auch im Interesse des Mandanten/der Mandantin sollte immer versucht werden, Einvernehmen zwischen den Ehegatten über die Grundfragen des Sorgerechts und ggf. der Ausübung des Umgangsrechts zu erzielen. Gerade für die betroffenen Kinder bedeutet solcher Streit meist eine unerträgliche Belastung, weil sie Gegenstand psychologischer Untersuchungen und Spielball in den Auseinandersetzungen zwischen ihren Eltern werden, die sich ihrerseits in langwierige, nervenaufreibende Auseinandersetzungen verstricken können. Hier ist also umfangreiche Aufklärung des Mandanten über die Notwendigkeit der Wahrung des Kindeswohls und die negativen Auswirkungen solcher Auseinandersetzungen notwendig.
c) Verbundverfahren oder isoliertes Verfahren?
Rz. 21
Der Antrag ist nach Trennung der Eltern zulässig; die Entscheidung hierüber wird unabhängig von dem Ehescheidungsverfahren getroffen. Verbund mit der Ehesache entsteht nur, wenn ein Ehegatte die Einbeziehung in den Verbund vor Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug beantragt, es sei denn, das Gericht hält aus Gründen des Kindeswohls die Einbeziehung nicht für sachgerecht, § 137 Abs. 3 FamFG. Ist Verbund mit der Ehesache entstanden, kann dieser Verbund nach § 140 Abs. 2 Nr. 3 FamFG aufgelöst werden, wenn das Gericht dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Verfahren ausgesetzt ist.
d) Kindeswohl
Rz. 22
Gegen den Willen eines Elternteils kommt die Übertragung der alleinigen Sorge auf den anderen Elternteil nach § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB nur in Betracht, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entsprechen.
Rz. 23
Nach Neuregelung des § 1671 BGB im Rahmen des zum 1.7.1998 in Kraft getretenen Kindschaftsrechtsreformgesetzes war zunächst der Schluss gezogen worden, es handle sich bei der gemeinsamen Sorge um die gesetzliche Regel. Die Alleinsorge sei die Ausnahme, die noch dazu als begründungsbedürftiger Eingriff in das Sorgerecht konstruiert sei. Der BGH hat jedoch bereits 1999 klargestellt, dass die Neuregelung kein Regel-Ausnahme-Verhältnis darstellt dahingehend, dass ein Vorrang der gemeinsamen elterlichen Sorge bestehe und die Alleinsorge eines Elternteils nur in Ausnahmefällen als Ultima ratio in Betracht komme. Ebenso wenig bestehe eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die gemeinsame elterliche Sorge im Zweifel die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung sei. Funktioniere die gemeinsame elterliche Sorge nicht und seien die Eltern nicht zu gemeinsamen Entscheidungen im Interesse des Kindes fähig, müsse der Alleinsorge der Vorzug gegeben werden.
Das BVerfG hat dazu in einem Beschluss vom 4.8.2015 erklärt, dass die Verfassung nicht gebietet, die gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall zu behandeln, wenn es an "einer tragfähigen sozialen Beziehung zwischen den Eltern und einem Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen fehlt". Andererseits, so das BVerfG, setzt die Übertragung der alleinigen Sorge auf den anderen Elternteil nicht voraus, dass eine Kindeswohlgefährdung besteht, wie sie nach ständiger Rechtsprechung bei einer Trennung des Kindes von seinen Eltern nach Art. 6 Abs. 3 GG vorliegen müsste.