Dr. iur. Klaus-Peter Horndasch
I. Einleitung
Rz. 593
Gerichtliche Auseinandersetzungen in Familiensachen sind auf Seiten des Antragstellers häufig von Eilbedürftigkeit geprägt, sei es in Unterhaltssachen oder auch in Angelegenheiten elterlicher Sorge oder des Umgangs.
Nachdem vom Gesetzgeber entschieden worden war, den Katalog der zu den Familiensachen gehörenden Angelegenheiten durch das am 1.9.2009 in Kraft getretene FamFG auszuweiten (Bsp.: Gewaltschutzsachen, § 111 Nr. 6 FamFG), reichten die bestehenden Regelungen für bestimmte Lebenslagen wie Anhängigkeit einer Ehesache (§ 620 ZPO a.F.), Feststellung der Vaterschaft (§ 641d ZPO a.F.) oder für alle auf Zahlung von Unterhalt gerichtete Klagen (§ 644 ZPO a.F.) nicht mehr aus. Deshalb erfassen seit dem 1.9.2009 die §§ 49–57 FamFG den einstweiligen Rechtsschutz in Gestalt der einstweiligen Anordnung für alle Familiensachen abschließend, es sei denn, spezielle Vorschriften sind vorrangig, wie beispielsweise §§ 246–248 FamFG für Unterhaltssachen.
Gleichzeitig wurde die Loslösung des einstweiligen Rechtsschutzes vom Hauptsacheverfahren vorgenommen. Das Verfahren der einstweiligen Anordnung ist ein selbstständiges Verfahren, und zwar auch unabhängig davon, ob eine inhaltsgleiche Hauptsache bereits anhängig ist oder später anhängig wird, § 51 Abs. 3 S. 1 FamFG.
II. Allgemeine Grundsätze
1. Voraussetzungen
Rz. 594
Die Voraussetzungen für den Erlass der einstweiligen Anordnung finden sich in den Vorschriften der §§ 49 ff. FamFG, wobei nach dem Gesetzestext gem. § 49 Abs. 1 FamFG durch einstweilige Anordnung das Gericht eine vorläufige Maßnahme treffen kann, damit also klargestellt ist, dass mit einem solchen Verfahren nicht die Hauptsache vorweggenommen werden soll. Da der Erlass der einstweiligen Anordnung "nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschrift gerechtfertigt" sein muss, ist seitens des Gerichts die Überprüfung der für das Rechtsverhältnis geltende materiellrechtlichen Vorschrift in jedem Falle geboten. Es muss also wie bisher seitens des Antragstellers ein Verfügungsanspruch und ein Verfügungsgrund vorgetragen werden, wobei sich Letzterer an der gesetzlichen Vorgabe orientiert, dass für den Erlass der einstweiligen Anordnung "ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden" vorliegen muss.
Dies ist dann zu bejahen, wenn ein Zuwarten bis zur Entscheidung innerhalb einer etwaigen Hauptsache mit erheblichen Nachteilen verbunden wäre.
Rz. 595
Für die einstweilige Anordnung kann das Gericht gem. § 49 Abs. 2 FamFG neben der vorläufigen Regelung auch einen bestehenden Zustand sichern, ganz allgemein einem Beteiligten die Vornahme einer Handlung gebieten oder ihm auch eine solche Handlung verbieten und – wie im Gesetzestext ausführlich ausgeführt – auch die Verfügung über einen Gegenstand untersagen.
Rz. 596
Das Gericht wird gem. § 49 Abs. 2 S. 2 FamFG in die Lage versetzt, zusammen mit der einstweiligen Anordnung unter Umständen auch die zur "Durchführung erforderlichen Anordnungen" zu treffen.
2. Zuständigkeit
Rz. 597
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit des anzurufenden Gerichts ist in § 50 FamFG geregelt.
Weitere Zuständigkeitsregelungen für besondere Verfahren finden sich in § 98 ff. FamFG (internationale Zuständigkeit) und § 122 FamFG (Scheidungssachen und Verbund). Für den zu stellenden Antrag ist demnach das Gericht zuständig, welches für die Hauptsache im ersten Rechtszug zuständig wäre. Dies betrifft also die Fälle, in denen ein Hauptsacheverfahren noch nicht anhängig ist. Existiert bereits ein Hauptsacheverfahren, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem Gericht einzureichen, bei welchem das Hauptsacheverfahren anhängig ist.
Rz. 598
Bei besonderer Eilbedürftigkeit gewährt das Gesetz in § 50 Abs. 2 S. 1 FamFG einen weiteren Gerichtsstand: "in dessen Bezirk das Bedürfnis für ein gerichtliches Tätigwerden benannt wird oder sich die Person oder die Sache befindet, auf die sich die einstweilige Anordnung bezieht". Dies entspricht in Teilbereichen der besonderen Zuständigkeitsregelung im einstweiligen Verfügungsverfahren (§ 942 Abs. 1 ZPO – "belegene Sache"), wobei allerdings nach § 50 Abs. 2 S. 2 FamFG das tätig gewordene Amtsgericht das Verfahren ohne schuldhaftes Zögern ("unverzüglich") von Amts wegen an das nach § 50 Abs. 1 FamFG zuständige Gericht abzugeben hat, selbst wenn dort ein einstweiliges Anordnungsverfahren oder ein Hauptsacheverfahren nicht anhängig ist.
Rz. 599
Was das Merkmal des "besonders dringenden Falls" anbelangt, müssen über den "Normalfall" hinausreichende schwerwiegende Folgen zu befürchten sein.
Rz. 600
Ist insoweit zwischen Eingang eines Antrags bei dem in § 50 Abs. 2 S. 1 FamFG erwähnten Amtsgericht ein Hauptsacheverfahren beim Hauptsachegericht anhängig geworden, kann das Amtsgeric...