a) Nicht börsennotierte Anteile
Rz. 74
Rechtsprechung und (juristisches) Schrifttum bevorzugen zur Anteilsbewertung die indirekte Methode, bei der der Anteilswert aus dem (Ertrags-)Wert der Gesellschaft (insgesamt) abgeleitet wird. Nach Ansicht des BGH bilden der Umfang der Beteiligung am Unternehmen und der Unternehmenswert im Regelfall die wesentlichen Grundlagen für die Bemessung des Werts der Beteiligung. Denn der vermögenswerte Gehalt der Beteiligung liege in der Mitberechtigung am Unternehmen und der anteiligen Nutzungsmöglichkeit des Unternehmenswerts. Das bestätigt auch das BVerfG, das in der DAT/Altana-Entscheidung den Wert des "arbeitenden Unternehmens unter Einschluss der stillen Reserven und des inneren Geschäftswerts" als Bemessungsgrundlage der zu zahlenden Abfindung definiert hat. Die direkte Methode wird hingegen als zu summarisch abgelehnt.
b) Börsennotierte Anteile
Rz. 75
Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen gilt aber für Anteile an börsennotierten Kapitalgesellschaften. Diese sind nach einhelliger Meinung im Rahmen der Nachlassbewertung (also auch für Zwecke des Pflichtteilsrechts) mit ihrem Kurswert am Stichtag (Todestag des Erblassers) anzusetzen. Maßgeblich ist jeweils der mittlere Tageskurs der Aktien an dem Börsenplatz, der dem letzten Wohnsitz des Erblassers am nächsten liegt. Das Risiko, dass sich aufgrund spekulativer Einflüsse extrem hohe bzw. niedrige Werte ergeben können, ist nach h.M. systemimmanent und zwingt zu keiner abweichenden Sichtweise. Für Streubesitz-Anteile ist diese Sichtweise sicherlich zutreffend.
Rz. 76
Eine differenziertere Betrachtung ist aber geboten, wenn der Nachlass eine so große Beteiligung umfasst, dass sie dem Anteilseigner eine unternehmerische Betätigung ermöglicht. Denn im Falle der Veräußerung derart maßgeblicher Aktienpakete wird in der Praxis oft ein mehr oder weniger deutlich über dem Börsenkurs liegender Preis gezahlt; der Börsenkurs wird um sog. Paketzuschläge aufgestockt.
Rz. 77
Für Bewertungen im Rahmen des Zugewinnausgleichs ist bereits anerkannt, dass bei Aktienpaketen, "die unternehmerischen Einfluss sichern", der Börsenkurs um einen Paketzuschlag aufzustocken ist. Soweit die Größe der Beteiligung und der mit der Bewertung verbundene Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, soll sogar eine Ableitung aus dem Unternehmensgesamtwert zu bevorzugen sein. Umso mehr gilt dies, wenn nicht unmaßgebliche Teile der Aktien außerhalb der Börse gehandelt werden und der Börsenkurs daher wenig repräsentativ ist, insbesondere also bei Familiengesellschaften.
Rz. 78
Diese Überlegungen müssen auch im Pflichtteilsrecht Berücksichtigung finden. Denn auch hier ist unter den genannten Voraussetzungen eine vom Börsenkurs unabhängige Bestimmung des Anteilswerts erforderlich, um den tatsächlichen Wert des Beteiligungspaktes zu bestimmen. Die Bewertung muss dann auf dieselbe Weise erfolgen wie bei nicht börsennotierten Beteiligungen.
Rz. 79
Eine besondere Herausforderung bildet in diesem Zusammenhang jedoch naturgemäß die Abgrenzung von Streubesitz und Paket-Beteiligung. Konkrete Grenzwerte finden sich weder in der Rechtsprechung noch in der juristischen Literatur. Im Hinblick auf den mit einer vollständigen Unternehmensbewertung verbundenen Aufwand und die daraus resultierenden Kosten scheint der in der Literatur vorgebrachte Ansatz, den leicht zu ermittelnden Börsenkurs um im Einzelnen zu schätzende Paketzuschläge zu erhöhen, durchaus sinnvoll. In Fällen, in denen der Börsenkurs offensichtlich außer Verhältnis zum wahren Wert der Anteile steht und eine sinnvolle Schätzung des Zuschlags nicht möglich ist, kann aber auf die Ableitung des Werts aus dem Unternehmensgesamtwert im Ergebnis nicht verzichtet werden.