Rz. 92
Soweit nach den beschriebenen Grundsätzen Paketzuschläge oder Minderheitenabschläge im Einzelfall aus betriebswirtschaftlicher Sicht geboten bzw. gerechtfertigt sind, sind sie auch in die Bewertung der Beteiligung für pflichtteilsrechtliche Zwecke mit einzubeziehen. Die Frage der betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung kann allerdings nicht ohne Weiteres auf der Grundlage der tatsächlichen Verwendungsabsicht des Erben beantwortet werden. Vielmehr sind auch insoweit die normativen Vorgaben, die sich aus der Annahme eines "idealen Erben" ergeben, zu beachten:
Rz. 93
Sofern die wirtschaftlich sinnvollste Handlungsalternative darin besteht, die Beteiligung fortzuführen, sind daher – unabhängig von der Höhe der Beteiligung – Mehrheits- oder Paketzuschläge nicht gerechtfertigt. Zwar würde eine Mehrheitsbeteiligung den Erben in die Lage versetzen, in der Gesellschaft die Geschäftsführung zu übernehmen oder durch seine Machtstellung die Beschlussfassung in Gesellschafterversammlungen zu beeinflussen. Bei entsprechendem unternehmerischem Erfolg könnte er so die Gewinne und damit auch den ihm zufließenden Entnahmestrom steigern. Diese positive Ertragsentwicklung darf aber, soweit sie von der individuellen Persönlichkeit des Erben abhängt, bei der Bewertung nicht berücksichtigt werden. Vielmehr ist zu unterstellen, dass das Unternehmen von (irgend-)einem qualifizierten Geschäftsführer weitergeführt wird; dieser würde aber auf jeden Fall, also unabhängig vom gesellschaftsrechtlichen Einfluss des Erben, von verantwortlich handelnden Gesellschaftern engagiert werden.
Rz. 94
Bei geringeren Beteiligungen können ggf. Minderheitsabschläge in Betracht kommen, wenn damit gerechnet werden muss, dass die Mehrheit der Gesellschafter eine (mehr oder weniger) regelmäßige Ausschüttung der erwirtschafteten Gewinne verhindern wird. In dieser Konstellation ist es erforderlich, diejenigen Nachteile durch einen Abschlag zu korrigieren, die sich aus einer Abweichung von dem der Unternehmensbewertung zugrunde liegenden Ausschüttungsprognosen ergeben. Vor dem Hintergrund, dass Thesaurierungen grundsätzlich dazu dienen, höhere Ausschüttungen in der Zukunft zu ermöglichen, kann es bei der Bemessung des Abschlags aber lediglich um die Differenz zwischen den infolge der Thesaurierung für den Erben entstehenden Nachteilen (evtl. Zinsbelastungen o.Ä.) und dem Barwert der zu erwartenden Mehrgewinne gehen. In der Praxis wird daher, selbst wenn die Thesaurierung großer Teile der Erträge über einen längeren Zeitraum bereits mit Sicherheit feststeht, nur ein relativ geringer Abschlag gerechtfertigt sein.
Rz. 95
Ist davon auszugehen, dass ein "idealer Erbe" die Beteiligung nicht fortführen, sondern in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Erbfall veräußern würde, sind sowohl Paketzu- als auch Minderheitsabschläge in marktüblicher Höhe in die Anteilsbewertung mit einzubeziehen.