Rz. 435
Beispiel
Der 17-jährige minderjährige Max ist (endgültiger) Erbe. Stellt sich nun heraus, dass der umfangreiche Nachlass überschuldet oder zahlungsunfähig ist, so "hat" sein gesetzlicher Vertreter gem. § 1980 Abs. 1 S. 1 BGB unverzüglich die Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens zu beantragen. Bei Verletzung der Antragpflicht ist er zum Schadenersatz verpflichtet; er hat den Schaden zu ersetzen, der durch die unterlassene oder verspätete Antragstellung entsteht (§ 1980 Abs. 1 S. 2 BGB).
Dass der auf der Schwelle zur Volljährigkeit stehende Max, ebenso wie Otto Jedermann als Normalverbraucher, keine strafbewehrte Pflicht zur Insolvenzeröffnung trifft, mag bekannt sein. Es ergibt sich dies aus dem Gegenteilsschluss aus § 15a InsO. Aber insbesondere dann, wenn der Minderjährige kein großes Vermögen hat, könnten seine Eltern auch daran denken, nichts zu tun. Sie könnten sich auf § 1629a BGB verlassen: "Die Haftung für Verbindlichkeiten ..., die aufgrund eines während der Minderjährigkeit erfolgten Erwerbs von Todes wegen entstanden sind, beschränkt sich auf den Bestand des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens des Kindes; ...".
Rz. 436
Gegen eine echte Wahlmöglichkeit der Eltern zwischen Nachlassinsolvenzverfahren und Minderjährigenhaftungsbeschränkung spricht zum Einen schon der Wortlaut des § 1980 Abs. 1 S. 2 BGB, wonach die Verletzung der "Pflicht" zur Beantragung eines Nachlassinsolvenzverfahrens eine Schadensersatzpflicht des Erben gegenüber den Nachlassgläubigern zur Folge hat; vorausgesetzt wird Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis der Überschuldung (§ 1980 Abs. 2 BGB). Das Nachlassinsolvenzverfahren dient der gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger und ist vom Gesetzgeber als Pflicht ausgestaltet worden. Demgegenüber will § 1629a BGB nur den Minderjährigen schützen, ihm vermögensmäßig eine "zweite Chance geben", weshalb ihm die für die beschränkte Erbenhaftung nach §§ 1629a, 1990 BGB vorgesehene Erschöpfungseinrede zur Verfügung gestellt wird; er kann von dieser Einrede Gebrauch machen, muss es aber nicht; wenn er es nicht tut, verletzt er eine Obliegenheit, er schadet sich selbst.
Rz. 437
Aus den unterschiedlichen Schutzzwecken ergibt sich, dass die Pflicht, ein Nachlassinsolvenzverfahren zu beantragen, vorrangig ist. Hinzu kommt noch, dass die Haftungsbeschränkung nach § 1629a BGB für den volljährig Gewordenen weniger günstig sein kann: Das Nachlassinsolvenzverfahren kann alsbald nach Erkennen der Überschuldung eingeleitet werden; den Nachlassgläubigern ist dann der Zugriff auf nicht-ererbtes Vermögen des Minderjährigen versperrt. Die Haftungsbeschränkung nach § 1629a BGB kann erst nach Erreichen der Volljährigkeit geltend gemacht werden. Es haftet das gesamte Vermögen, das der volljährig Gewordene zu diesem Zeitpunkt besitzt, nicht nur der Nachlass. Mit anderen Worten: die Nachlassgläubiger können dann auch in das nicht-ererbte Vermögen und Einkommen des volljährig Gewordenen vollstrecken.
Die Wahlmöglichkeit zwischen § 1629a BGB und einem Insolvenzverfahren entfällt dort, wo die Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens Mangels einer den Kosten entsprechenden Masse nicht tunlich ist; dort wird der volljährig Gewordene die Dürftigkeitseinrede erheben (§ 1990 BGB). Die Berufung auf die Minderjährigenhaftungsbeschränkung bleibt ihm daneben noch möglich.
Rz. 438
Kommen die Eltern des minderjährigen Erben der Antragspflicht für ein Nachlassinsolvenzverfahren nicht nach, so haftet der minderjährige Erbe für sie gem. § 278 BGB. Versäumen die Eltern des Minderjährigen also schuldhaft die Antragstellung hinsichtlich eines Nachlassinsolvenzverfahrensund entsteht dem Minderjährigen dadurch ein Schaden, dass die Nachlassgläubiger von ihm Schadensersatz nach § 1980 BGB verlangen, weil das Nachlassinsolvenzverfahren nicht unverzüglich beantragt worden war, so haften die Eltern gemäß § 1664 BGB ihrem Kind als Gesamtschuldner ihrerseits auf Schadensersatz.
Rz. 439
Bei Eintritt in die Volljährigkeit kann der Erbe zwar seine Haftung wegen dieser Schadensersatzpflicht aus §§ 1980, 278 BGB den Nachlassgläubigern gegenüber nach § 1629a BGB beschränken; aber zu dem Vermögen des nunmehr Volljährigen, das den Nachlassgläubigern zur Verfügung steht, gehört auch der Schadensersatzanspruch des Minderjährigen gegen seine Eltern aus § 1664 BGB. In diesen Anspruch können die Gläubiger vollstrecken, ihn pfänden und ihn sich zur Einziehung überweisen lassen.
Rz. 440
Im Übrigen gilt für die Frage der Kenntnis von der Überschuldung des Nachlasses: Ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit ist die Kenntnis des Volljährigen maßgeblich, nicht mehr die seiner Eltern. Aber die einmal auf § 278 BGB beruhende Zurechnung des Verschuldens der Eltern besteht fort – wenn die Eltern das volljährig gewordene Kind nicht von der Überschuldung informieren, so geht das nicht zu Lasten der Gläubiger, sondern der weitere in Gang gesetzte Schadensverlauf geht weiterhin zu Lasten des Kindes, das einen Schadensersa...