Dr. Stephan Pauly, Michael Pauly
I. Einschlägige arbeitsrechtliche Vorschriften der InsO
Rz. 70
Wie unter Rdn 1 bereits erwähnt, gilt das Arbeitsrecht in der Insolvenz des Arbeitgebers grundsätzlich uneingeschränkt fort. Der Verwalter unterliegt also denselben Kündigungsbeschränkungen bzw. -voraussetzungen wie ein Arbeitgeber außerhalb eines Insolvenzverfahrens. So hat er insbesondere den allgemeinen Kündigungsschutz nach §§ 1 ff. KSchG und den Sonderkündigungsschutz für die betroffenen Arbeitnehmergruppen zu beachten, wobei hier vor allem die Regelungen in den §§ 168 ff. SGB IX, § 17 MuSchG, dem § 15 KSchG, § 22 BBiG, § 18 BEEG, § 5 PflegeZG, § 2 ArbPlSchG von Relevanz sind.
Rz. 71
Sonderregelungen zum Arbeitsrecht in der Insolvenz sind auf einige wenige Vorschriften beschränkt. Sie finden sich im 2. Abschnitt des 3. Teils der InsO in den
Rz. 72
Zunächst fällt aber vor allem auf, dass die Vorrechte, die die Arbeitnehmer wegen ihres rückständigen Arbeitslohns gem. § 59 Abs. 1 Nr. 3 KO und § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO noch unter der Geltung der KO hatten, mit dem Inkrafttreten der InsO ersatzlos gestrichen wurden (die Arbeitnehmer konnten nach dieser Regelung ihren rückständigen Bruttolohn für sechs Monate vorweg aus der Masse beanspruchen, was dazu führte, dass wegen der hohen Massekosten kaum ein Verfahren zur Eröffnung gelangte).
Rz. 73
Die InsO greift sodann mit den o.g. Vorschriften das Schutzniveau des Arbeitsrechts in der Insolvenz auf, das auch bereits unter der Konkursordnung (KO) grundsätzlich galt. Während die KO aber nur eine einzige Anordnung zum Arbeitsvertrag traf (§ 22 KO: Beide Seiten sind (nur) zu einer fristgerechten Kündigung berechtigt), von der summenmäßigen Begrenzung von Sozialplanansprüchen nach dem Sozialplankonkursgesetz einmal abgesehen, so finden sich in der InsO nunmehr eine Reihe von Vorschriften, die dem Insolvenzverwalter die Fortführung eines Betriebes erleichtern sollen.
Rz. 74
Dazu gehören
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die generell auf drei Monate verkürzte Kündigungsfrist des § 113 InsO, |
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die erleichterte Kündigungsmöglichkeit von Betriebsvereinbarungen, § 120 InsO, |
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die Möglichkeit des Abschlusses eines Interessenausgleichs mit Namensliste auch in der Insolvenz, mit der Vermutung der dringenden betriebsbedingten Gründe für die Kündigung und Erleichterungen bei der Sozialauswahl gem. § 125 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO, |
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die Einführung von Beweiserleichterungen und eines vereinfachten Beschlussverfahrens gem. § 126 InsO, |
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eine Ausdehnung der §§ 125–127 InsO auf den Erwerber im Fall des Betriebsübergangs gem. § 128 InsO. |
Rz. 75
Nachfolgend werden die Maßnahmen im Einzelnen dargestellt. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Maßnahmen auf dem Gebiet des Individualarbeitsrechts und des Kollektivarbeitsrechts.
II. Individualarbeitsrecht
1. Kündigungsbefugnis
Rz. 76
Wie bereits bei Rdn 21 geschildert, geht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsbefugnis gem. § 80 InsO auf den Insolvenzverwalter über, der damit auch vollumfänglich in die Arbeitgeberstellung einrückt. Ihn treffen daher auch alle Rechte und Pflichten des insoweit verdrängten Vertragsarbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis, einschließlich des Rechts zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Er hat daher z.B. auch die Pflicht, ein Zeugnis zu erstellen, sofern das Arbeitsverhältnis nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet.
Klagen gegen die Kündigung des Insolvenzverwalters sind daher selbstverständlich gegen diesen als Partei kraft Amtes zu richten, nicht gegen den bisherigen Vertragsarbeitgeber. In der Eigenverwaltung verbleibt die Verfügungsgewalt hingegen beim eigenverwaltenden Insolvenzschuldner. Dieser muss also weiterhin alle Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis selbst ausüben und auch selbst Kündigungen aussprechen, § 80 Abs. 1 InsO findet keine Anwendung. Die Vorschriften zur Erleichterung der Sanierung, die §§ 113–128 InsO, gelten prinzipiell auch für den eigenverwaltenden Schuldner, teilweise allerdings mit der Maßgabe, dass die Zustimmung des Sachwalters benötigt wird, vgl. § 279 InsO.
Klagen gegen die Kündigung des Insolvenzschuldners, also des Vertragsarbeitgebers, sind daher konsequenterweise gegen diesen zu richten, insofern gelten keine Besonderheiten.
2. Verkürzte Kündigungsfrist des § 113 S. 2 InsO
Rz. 77
Gem. § 113 InsO kann ein Dienstverhältnis, bei dem der Insolvenzschuldner der Dienstberechtigte ist, sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Dienstnehmer ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder einen vereinbarten Kündigungsausschluss mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende gekündigt werden, sofern nicht (aufgrund vertraglicher Vereinbarung oder gesetzlicher Bestimmung) eine kürzere Frist maßgeblich ist. Die Norm bewirkt Zweierlei:
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Zum einen schafft sie eine Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung von Arbeits- und Dienstverhältnissen, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht ordentlich kündbar waren, sei es, weil das Vertragsverhältnis befristet oder auflösend b... |