Rz. 415
Unter Umständen sind dem Versicherungsnehmer und/oder dem Versicherer die Kenntnis von gefahrerheblichen Umständen und auch das Verhalten von Dritten zuzurechnen.
a) Grundsätze der Zurechnung
Rz. 416
Wird der Vertrag von einem Vertreter des Versicherungsnehmers geschlossen, bestimmt § 20 S. 1 VVG, dass bei Anwendung des § 19 Abs. 1 bis 4 VVG und § 21 Abs. 2 S. 2 VVG sowie Abs. 3 S. 2 VVG sowohl die "Kenntnis und die Arglist" des Vertreters als auch die des Versicherungsnehmers zu berücksichtigen sind (vgl. auch § 6 Nr. 3 MB BUV 16). Gleichgestellt ist dem Versicherungsnehmer in Bezug auf die Kenntnis also zunächst sein rechtsgeschäftlicher Vertreter, dessen Kenntnis ihm zugerechnet wird. Allerdings findet die Norm nach der Gesetzesbegründung – entgegen dem missverständlichen Wortlaut – auf die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung keine Anwendung.
Rz. 417
Bei gesetzlichen Vertretungsverhältnissen ist gemäß § 166 Abs. 1 BGB nur die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters maßgebend. Bei juristischen Personen, rechtsfähigen Personengesellschaften oder Körperschaften sind daher grundsätzlich die Kenntnisse des Vertretungsorgans maßgebend.
Rz. 418
Generell ist die Kenntnis und das Verhalten der versicherten Person dem Versicherten nach §§ 156, 176 VVG zuzurechnen (vgl. auch § 6 Nr. 2 der MB BUV 16).
Rz. 419
Weitergehend ist das Wissen von Dritten dem Versicherungsnehmer nur dann zuzurechnen, wenn er Wissenserklärungsvertreter ist. Wissenserklärungsvertreter ist derjenige, der vom Versicherungsnehmer damit betraut worden ist, an seiner Stelle Obliegenheiten gegenüber dem Versicherer zu erfüllen oder Erklärungen gegenüber dem Versicherer abzugeben.
Rz. 420
Dem Versicherer wiederum ist das Handeln seiner Vertreter zuzurechnen (vgl. §§ 69 ff. VVG). Nach § 72 VVG ist eine Beschränkung der dem Versicherungsvertreter nach den §§ 69 bis 71 VVG zustehenden Vertretungsmacht durch AVB gegenüber dem Versicherungsnehmer und Dritten unwirksam. Für Neuverträge und ab 1.1.2009 auch für Altverträge gibt es daher keine AVB-mäßigen Beschränkungen der Vollmacht eines Versicherungsvertreters mehr.
Rz. 421
Bei Versicherungsvermittlern aller Art kommt es darauf an, in wessen Lager sie stehen. Insofern differenziert § 59 Abs. 1 VVG zwischen Versicherungsvertretern, die auch als Versicherungsagenten bezeichnet werden, und Versicherungsmaklern. Als Agent wird gemäß § 59 Abs. 2 VVG bezeichnet, wer von einem Versicherer oder einem Versicherungsvertreter damit beauftragt ist, gewerbsmäßig Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen. Im Gegensatz zum Versicherungsmakler, der gemäß § 59 Abs. 3 VVG für den Versicherungsnehmer die Vermittlung des Versicherungsvertrages übernimmt und dessen Lager zuzurechnen ist, steht der Versicherungsagent im Lager des Versicherers. Kenntnis und Verhalten des Maklers werden dem Versicherungsnehmer gemäß § 166 Abs. 1 BGB zugerechnet. Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein. Außerdem kommt auch ausnahmsweise die Zurechnung der Kenntnisse eines Maklers in Frage, wenn dieser für den Versicherer ähnlich wie ein Agent tätig ist.
b) Mitwirkung von Agenten oder Ärzten bei Antragstellung
Rz. 422
Besonderheiten gelten, wenn ein Vertreter des Versicherers den Antrag aufnimmt. Schon nach altem VVG waren dessen Kenntnisse nach der sog. "Auge und Ohr"-Rechtsprechung dem Versicherer zuzurechnen. Diese Grundsätze sind bedeutsam, weil das Rücktritts-, Kündigungsrecht bzw. das Recht auf Vertragsanpassung gemäß § 19 Abs. 5 S. 2 VVG ausgeschlossen ist, wenn der Versicherer den nicht angezeigten Gefahrumstand oder die Unrichtigkeit der Anzeige kannte. Eine entsprechende Regelung war schon im alten VVG gegeben (§§ 16 Abs. 3, 17 Abs. 2 VVG a.F.).
Rz. 423
Der Versicherungsagent ist "Auge und Ohr" des Versicherers mit der Folge, dass alles dem Agenten dienstlich zur Kenntnis gelangte als dem Versicherer bekannt fingiert wird. Die zum alten VVG entwickelte Rechtsprechung ist ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen worden (vgl. §§ 70, 73 VVG). Es wird also dem Versicherer all das zugerechnet, was der Versicherungsagent in Zusammenhang mit der Aufnahme des Versicherungsantrages erfährt. Auch auf Angestellte des Versicherers ist diese Rechtsprechung anzuwenden, wenn sie mit Zustimmung des Versicherers nach außen entsprechend auftreten.
Rz. 424
Der Versicherer kann sich generell nicht darauf berufen, er habe eine Klausel vereinbart, nach der der Versicherte für die Richtigkeit seiner Angaben alleine verantwortlich sein soll, auch wenn er den Antrag nicht selber ausgefüllt habe, oder der Vermittler zu den Antragsfragen keine verbind...