Rebecca Vollmer, Dr. Wolfgang Dunkel
Rz. 427
Besonderheiten gelten, wenn ein Vertreter des Versicherers den Antrag aufnimmt. Schon nach altem VVG waren dessen Kenntnisse nach der sog. "Auge und Ohr"-Rechtsprechung dem Versicherer zuzurechnen. Diese Grundsätze sind bedeutsam, weil das Rücktritts-, Kündigungsrecht bzw. das Recht auf Vertragsanpassung gemäß § 19 Abs. 5 S. 2 VVG ausgeschlossen ist, wenn der Versicherer den nicht angezeigten Gefahrumstand oder die Unrichtigkeit der Anzeige kannte. Eine entsprechende Regelung war schon im alten VVG gegeben (§§ 16 Abs. 3, 17 Abs. 2 VVG a.F.).
Rz. 428
Der Versicherungsagent ist "Auge und Ohr" des Versicherers mit der Folge, dass alles dem Agenten dienstlich zur Kenntnis gelangte als dem Versicherer bekannt fingiert wird. Die zum alten VVG entwickelte Rechtsprechung ist ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen worden (vgl. §§ 70, 73 VVG). Es wird also dem Versicherer all das zugerechnet, was der Versicherungsagent in Zusammenhang mit der Aufnahme des Versicherungsantrages erfährt. Auch auf Angestellte des Versicherers ist diese Rechtsprechung anzuwenden, wenn sie mit Zustimmung des Versicherers nach außen entsprechend auftreten.
Rz. 429
Der Versicherer kann sich generell nicht darauf berufen, er habe eine Klausel vereinbart, nach der der Versicherte für die Richtigkeit seiner Angaben alleine verantwortlich sein soll, auch wenn er den Antrag nicht selber ausgefüllt habe, oder der Vermittler zu den Antragsfragen keine verbindlichen Erklärungen abgeben dürfe. Auch kann die Empfangsvollmacht des Versicherungsvertreters nicht wirksam durch AVB eingeschränkt werden. Nach § 70 S. 1 VVG ist dem Versicherer die Kenntnis des Versicherungsvertreters (und gleichgestellter Personen i.S.d. § 73 VVG) ausdrücklich zuzurechnen.
Rz. 430
Füllt ein Arzt einen Fragebogen des Versicherers für ein "Ärztliches Zeugnis" o.ä. aus, so ist dieser – jedenfalls, wenn wie regelmäßig eine entsprechende Entlohnung des Versicherers für das Attest erfolgt – passiver Stellvertreter des Versicherers (und nicht des Versicherungsnehmers), unbeachtlich ob es sich um einen behandelnden Arzt des Antragstellers handelt oder einen im Lager des Versicherers stehenden. Der Arzt ist in einem solchen Fall vom Versicherer zur Entgegennahme der Antworten bevollmächtigt, die der Versicherungsnehmer selbst zu Gesundheitsfragen in dem Formular geben musste, um dem Arzt die wahrheitsgemäße Ausfüllung zu ermöglichen. Hieraus folgt, dass der Versicherer bei unrichtig beantworteten Fragen nachweisen muss, dass der Kunde den Arzt nicht zutreffend informiert hat. Schaltet der Versicherer in dieser Form einen Arzt für die Aufnahme der Erklärungen des Versicherungsnehmers ein, sind damit entsprechend der Auge-und-Ohr-Rechtsprechung alle Erklärungen des Versicherungsnehmers diesem gegenüber auch gegenüber dem Versicherer abgegeben. Dies gilt aber nicht für Erkenntnisse, die der Arzt aus früheren Behandlungen des Patienten gewonnen hatte, da sein Auftrag insofern begrenzt ist.
Rz. 431
Wird ein Vertreter des Versicherers an der Antragsaufnahme beteiligt, trägt der Versicherer gemäß § 69 Abs. 3 VVG die Beweislast für die Verletzung der Anzeigeobliegenheit durch den Versicherungsnehmer. Es handelt sich insoweit um eine gesetzgeberische Klarstellung allgemeiner, unter der Geltung des alten VVG von der Rechtsprechung entwickelter, Grundsätze.
Rz. 432
Sofern nicht der Versicherungsnehmer persönlich das Fragenformular seines Versicherers ausgefüllt hat, sondern ein für den Versicherer tätiger Dritter anhand der Informationen, die der Versicherungsnehmer ihm mündlich bereitgestellt hat, so kann der Versicherer den ihm obliegenden Beweis des objektiven Tatbestands einer Anzeigenobliegenheitsverletzung nicht mehr allein mit der Vorlage des unzutreffend ausgefüllten Formulars führen. Wenn der Versicherungsnehmer behauptet, dass der Vermittler kein Makler, sondern ein Versicherungsvertreter sei, muss er dies auch beweisen.
Rz. 433
Bei einem komplizierten Fragenkatalog, der sich dem Verständnis eines Versicherungsnehmers erst bei sorgfältiger, ggf. wiederholter Lektüre erschließt, erbringt der Inhalt des ausgefüllten Formulars noch keinen Nachweis einer unvollständigen und unzutreffenden Fragenbeantwortung, wenn dem Versicherungsnehmer die Fragen nur vorgelesen worden sind, sofern der Versicherungsnehmer substantiiert vorträgt, wie er diese Fragen verstanden und dementsprechend beantwortet hat. Es steht dann zur Beweislast des Versicherers, dass ein Versicherungsagent bei der mündlichen Fragestellung so vorgegangen ist, dass seine Befragung einer sorgsamen, nicht unter Zeitdruck stehenden und ggf. durch klärende Rückfragen ergänzten Lektüre des Fragenkataloges gleichgesetzt werden kann.
Rz. 434
Hat der Versicherungsnehmer ein Fragenformular seines Versicherers nicht selbst ausgefüllt, sondern eine für den Versicherer tätige Person anhand vom Versicherungsnehmer mündlich erteilten Informationen, so kann d...