Rebecca Vollmer, Dr. Wolfgang Dunkel
Rz. 392
Die Anzeigeobliegenheit setzt eine positive Kenntnis des Versicherungsnehmers von den gefahrerheblichen Umständen im Zeitpunkt der Erfüllung der Obliegenheit voraus. Grundsätzlich kann sich die Kenntnis aus der eigenen Wahrnehmung bestimmter Beschwerden ergeben und auch aus mitgeteilten Diagnosen von Medizinern.
Entscheidend für die Kenntnis ist nicht, ob jemand einen solchen Umstand in seinem Bewusstsein oder in seinem Gedächtnis aktualisiert hat oder nicht. Maßgebend ist vielmehr, ob der Versicherungsnehmer den Umstand aktualisieren konnte, da erwartet werden kann, dass der Versicherungsnehmer bei der Beantwortung von Antragsfragen sein Gedächtnis prüft. Kenntnis ist also das jederzeit aktualisierbare Wissen des Versicherungsnehmers, dessen er sich bei gehöriger Gedächtnisanspannung bewusst werden kann.
Rz. 393
Eine Obliegenheitsverletzung liegt nicht vor, wenn der Versicherungsnehmer es grob fahrlässig unterlässt, sich aufdrängende Erkundigungen anzustellen darüber, ob es zu Erkrankungen von einigem Gewicht gekommen ist. Hierbei ersetzt eine fahrlässige Unkenntnis des Versicherungsnehmers nicht die fehlende Kenntnis eines anzuzeigenden Umstandes. Steht nicht sicher fest, dass der Arzt den Versicherten über die von ihm gestellte Diagnose aufgeklärt hat, ist eine positive Kenntnis von einem anzeigepflichtigen Umstand nicht nachgewiesen, wenn der Versicherungsnehmer die aufgetretenen Symptome nicht von sich aus als angabepflichtige Gesundheitsstörung erkannt hat, sondern als eine bloße Befindlichkeitsstörung deutete. Ein bloßes Kennenmüssen reicht grundsätzlich nicht aus.
Beispiele
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Unterbleibt die Anzeige eines Herzinfarktes, weil der Versicherungsnehmer diesen wegen eines klinisch stummen Verlaufes nicht kennt, ist ihm keine Obliegenheitsverletzung vorzuwerfen. |
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Keine Obliegenheitsverletzung liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer bei Antragsstellung einen unstreitig vereinzelt gebliebenen Arztbesuch verschweigt, aus dessen Anlass ihm von dem Rentenversicherer körperliche und psychische Beschwerden attestiert werden, und es nahe liegt, dass ihm dadurch vornehmlich die Bewilligung einer "Familienkur" bewilligt werden sollte. |
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Der Arzt negiert auf Nachfrage ausdrücklich den Krankheitswert von Beschwerden und teilt mit, der Versicherte sei "völlig gesund". |
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Leidet der Versicherungsnehmer an einer depressiven Verstimmung mit Krankheitswert, hat ihm jedoch der Arzt weder einen Befund mitgeteilt noch ihm Medikamente verordnet und auch keine Verhaltensmaßregeln erteilt, hat der Versicherungsnehmer keine Kenntnis. |
Rz. 394
Allerdings darf sich der Versicherungsnehmer auch nicht arglistig einer Erkenntnis verschließen. Auch wenn der Versicherungsnehmer noch keine Kenntnis von einer Diagnose hat, bzw. der Arzt noch keine Diagnose getroffen hat, wird er häufig gleichwohl bereits natürlich Kenntnis von entsprechenden Beschwerden haben. Ist die fachliche Beurteilung von Beschwerden noch nicht abgeschlossen, muss zumindest das Beschwerdebild mitgeteilt werden.
Rz. 395
Für die Anzeigeobliegenheit ist es auch unerheblich, ob sich eine nicht angegebene ärztliche Auskunft im Nachhinein als objektiv unzutreffend erweist.
Rz. 396
Wird nach Arbeitsunfähigkeitszeiten bzw. Krankschreibungen gefragt, so kommt es lediglich auf den formellen Umstand der ärztlichen Attestierung an, der anzugeben ist, und nicht darauf, ob und welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorlagen.