Rebecca Vollmer, Dr. Wolfgang Dunkel
I. Überblick
1. Sinn und Zweck des Nachprüfungsverfahrens
Rz. 323
Es handelt sich bei Berufsunfähigkeit nicht um einen Versicherungsfall, der trotz der zu stellenden Prognose stets und immer auf Dauer besteht.
Daher geht es im Kern bei der Nachprüfung um die Fragestellung, ob der (gedehnte) Versicherungsfall noch immer vorliegt.
Gemäß § 174 VVG wird der Versicherer leistungsfrei, wenn er feststellt, dass die Voraussetzungen der Leistungspflicht entfallen sind, und er dem Versicherungsnehmer diese Veränderung in Textform dargelegt hat (§ 174 Abs. 1 VVG, sog. Veränderungsmitteilung). Die Leistungsfreiheit beginnt frühestens mit dem Ablauf des dritten Monats nach Zugang der Erklärung beim Versicherungsnehmer (§ 174 Abs. 2 VVG). Diese bedingungsgemäße Prüfung nach Eintritt des Versicherungsfalls durch den Versicherer wird als Nachprüfungsverfahren (siehe auch § 6 MB BUZ 22 bzw. § 9 MB BUV 22) bezeichnet. Voraussetzung für eine Leistungseinstellung aufgrund einer Nachprüfung ist grundsätzlich, dass sich die Umstände im Vergleich zur Erstentscheidung geändert haben. Nachprüfbar ist sowohl die medizinische Seite, aber auch die Frage, ob sich der Versicherte nunmehr auf einen andere Tätigkeit verweisen lassen muss.
Rz. 324
Grundsätzlich kann die Nachprüfung beliebig oft wiederholt werden. In § 9 Abs. 2 BUV/§ 6 Abs. 2 BUZ 22 ist insoweit geregelt, dass zur Nachprüfung "jederzeit" sachdienliche Auskünfte angefordert werden können und "einmal jährlich" verlangt werden kann, dass sich die versicherte Person durch vom Versicherer beauftragte Ärzte umfassend untersuchen lässt. Wenn das Nachprüfungsverfahren nicht zu einer Leistungseinstellung führte, bedeutet dies nicht, dass hiermit ein Verzicht auf eine zukünftige weitere Nachprüfung verbunden wäre.
Rz. 325
Von einem rechtskräftigen Zahlungstitel kann sich der Versicherer nach Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens im Streitfall, sofern der Versicherungsnehmer die Zwangsvollstreckung aus dem vorhandenen Titel betreibt, im Wege der Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO lösen. Das Prozessgericht der ersten Instanz des Vorprozesses ist für die Vollstreckungsabwehrklage örtlich und sachlich ausschließlich zuständig, und zwar ungeachtet des Streitwertes.
Rz. 326
Der Versicherer kann noch im Klageverfahren des Versicherungsnehmers, in dem der erstmalige Eintritt der Berufsunfähigkeit streitig ist, einwenden und muss ggf. den Beweis führen, dass die Voraussetzungen der Leistungspflicht nach den Grundsätzen des Nachprüfungsverfahrens ab einem bestimmten Zeitpunkt wieder entfallen sind. Es ist dann durch Urteil sowohl über den Beginn, als auch über das Ende der Leistungspflicht zu entscheiden.
2. Vertragliche Regelungen zur Nachprüfung
Rz. 327
In wohl allen Bedingungswerken haben sich die Versicherer das Recht vorbehalten, nach Anerkennung oder Feststellung ihrer Leistungspflicht das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit und ihren Grad oder die Pflegestufe nachzuprüfen (vgl. § 9 MB BUV 22 sowie § 6 MB BUZ 22). Nach einem Anerkenntnis oder der gerichtlichen Feststellung der Berufsunfähigkeit kann künftigen Gesundheitsänderungen der versicherten Person nur durch das Nachprüfungsverfahren Rechnung getragen werden. Dem liegt das Verständnis der BUV als gedehntem Versicherungsfall zugrunde. Eines Anerkenntnisses oder einer Feststellung der Leistungspflicht des Versicherers bedarf es allerdings als Voraussetzung für eine Berechtigung zur Überprüfung des Fortbestehens der Berufsunfähigkeit nicht. Es genügt vielmehr, dass die Leistungspflicht tatsächlich bestand.
Rz. 328
Gemäß Art. 1 Abs. 1, 4 Abs. 3 EGVVG ist § 174 Abs. 1 VVG (anders als § 173 VVG) jedoch auf Altverträge nicht anwendbar, so dass sich die Berechtigung zur Nachprüfung hier nicht aus dem Gesetz ergibt. Allerdings sind auch in älteren AVB regelmäßig Nachprüfungsmöglichkeiten geregelt. Ältere Bedingungen sehen häufig jedoch nur die gesundheitliche Verbesserung als Grund für einen Wegfall der Leistungspflicht vor, so dass veränderte berufliche Möglichkeiten deswegen bei solchen Altverträgen eine Nachprüfung nicht rechtfertigen können. Der Versicherungsnehmer ist hier also besser gestellt, da Einschränkungen zu seinen Gunsten wirksam bleiben.
Rz. 329
Das Recht zur Nachprüfung muss sich der Versicherer unter der Geltung des neuen VVG dem Grunde nach nicht in den AVB vorbehalten. Dieses Recht ist der BUV vielmehr immanent, da zunächst lediglich auf Grundlage einer Zukunftsprognose, jedoch langfristig geleistet wird und es sich um einen gedehnten Versicherungsfall handelt. Das Fortbestehen des bedingungsgemäßen Versicherungsfalls muss daher, ebenso wie der ursprüngliche Eintritt des Versicheru...