Rebecca Vollmer, Dr. Wolfgang Dunkel
1. Historische Entwicklung
Rz. 1
Die private Berufsunfähigkeitsversicherung geht auf das 19. Jahrhundert zurück. Damals wurden erstmals als Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung private Versicherungen gegen das Risiko der "Invalidität" angeboten. Dies vor allem, um Versicherte bei fehlendem Schutz in der damals ebenfalls aufkommenden Sozialversicherung abzusichern. Seit 1964 sprechen die seinerzeit noch vom Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen genehmigten Musterbedingungen nicht mehr von "Invalidität" sondern von "Berufsunfähigkeit". Die Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen der früheren Bedingungen für die Invaliditäts-Zusatz-Versicherung mit denen der heutigen Berufsunfähigkeitsversicherung sind jedoch immens.
Rz. 2
Neben der Berufsunfähigkeitsversicherung und der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung findet man heute am Markt weitere Versicherungen, die ähnliche Risiken abdecken, etwa die Ratenschutzversicherung, die teilweise im Zuge des Abschlusses eines Ratenkredits mit einer Einmalprämie abgeschlossen wird. Hier besteht in der Regel jedoch gerade kein Anspruch bei unbefristeter Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, sondern nur, wenn die versicherte Person lediglich "vorübergehend" außerstande ist, ihre bisherige oder eine vergleichbare Tätigkeit auszuüben. Auch sind integrierte Arbeitsunfähigkeitsklauseln in den Berufsunfähigkeitsversicherungen seit 2015 populärer geworden, wobei der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) letztlich auch Musterbedingungen aufgelegt hat.
2. Berufsunfähigkeitsversicherung und Berufsunfähigkeitszusatzversicherung
Rz. 3
Zunächst gab es die Absicherung gegen Berufsunfähigkeit also nur als Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ), die abhängig ist vom Bestand der Hauptversicherung. Erst seit den 1970er Jahren ist die selbstständige Berufsunfähigkeitsversicherung (BUV) aufgekommen. Für die BUZ kommt im Lichte der Vertragsfreiheit eine Kombination mit jeglichen (in der Regel jedoch artverwandten) Versicherungen in Frage, insbesondere der Lebens- und Rentenversicherung, aber auch der Unfallversicherung.
Rz. 4
Zu beachten ist, dass im Bereich der BUZ zwar die Hauptversicherung ohne die BUZ fortbestehen kann, nicht jedoch umgekehrt. Die BUZ kann nicht ohne Hauptversicherung – häufig eine Lebensversicherung – abgeschlossen oder unterhalten werden (§ 9 Abs. 1 BUZ). Insofern kann die BUZ etwa durch Rücktritt beendet werden, die Lebensversicherung jedoch bestehen bleiben.
3. Bedeutung der Berufsunfähigkeitsversicherung
Rz. 5
Besondere Bedeutung dürfte die selbstständige BUV durch die Abschaffung der "Berufsunfähigkeitsrente" in der gesetzlichen Sozialversicherung erlangt haben. Seit der Gesetzesreform im Jahr 2000 gibt es lediglich noch eine Rente wegen voller oder teilweiser "Erwerbsunfähigkeit" für gesetzlich Versicherte (vgl. §§ 43, 241 SGB VI). Nur für vor 1961 Geborene wurde aus Gründen des Vertrauensschutzes eine gesetzliche Rente bei "Berufsunfähigkeit" beibehalten (vgl. § 240 SGB VI). Zur Absicherung des Lebensstandards ist daher eine private BUV vor allem für jüngere Geburtenjahrgänge relevant geworden.
Rz. 6
Die Begrifflichkeiten und die Systematik der gesetzlichen Rentenversicherung unterscheiden sich erheblich von denen des Privatversicherungsrechts, auch wenn beide eine Absicherung gegen gesundheitliche Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit bieten sollen. Insofern sind die Wertungen des Sozialversicherungsrechts nicht auf das private Versicherungsrecht übertragbar, obgleich in der Praxis evtl. tatsächliche Feststellungen aus den dortigen Verfahren, wie etwa Gutachten zum Gesundheitszustand, nicht unbeachtet gelassen werden können. Teilweise erwerbsgemindert sind im Sozialversicherungsrecht Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die nicht zumindest drei Stunden täglich erwerbstätig sein können (§ 43 Abs. 2, Abs. 2 SGB VI). Berufsunfähig sind gemäß § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte (falls vor 1961 geboren), deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen K...