Rebecca Vollmer, Dr. Wolfgang Dunkel
1. Überblick
Rz. 198
In der Regel ist in der BUV die Vergleichbarkeit der reinen Differenz des im Beruf erzielten Einkommens nicht Vertragsinhalt, sondern die Gleichwertigkeit der Lebensstellung. Die Verweisungstätigkeit soll insgesamt der bisherigen Lebensstellung des Versicherten entsprechen, damit in Bezug auf die Wertschätzung und die Vergütung ein spürbares Absinken unter das Niveau des bisher ausgeübten Berufes, also ein individueller und sozialer Abstieg, verhindert wird.
Rz. 199
Die Musterbedingungen zur BUV/BUZ 22 stellen in § 2 Abs. 1 bezüglich der konkreten wie auch der abstrakten Verweisungsmöglichkeit auf eine Tätigkeit entsprechend der "bisherigen Lebensstellung" ab. Demgemäß muss der Versicherer konkret zur Berufsausübung vor Eintritt des Versicherungsfalls vortragen, also zu den Anforderungen an den Versicherungsnehmer und dessen Fähigkeiten, den Entwicklungsmöglichkeiten und der Vergütung sowie der Wertschätzung des Berufs in der Gesellschaft. Dasselbe muss für den Verweisungsberuf vorgetragen werden.
Rz. 200
Hat die versicherte Person kurz vor Eintritt der Berufsunfähigkeit einen Berufswechsel vollzogen, ist mitunter zweifelhaft, ob für die Lebensstellung schon auf die bei Eintritt der Berufsunfähigkeit neu ausgeübte Tätigkeit abgestellt werden kann. Man wird einen Zeitraum von ca. einem halben Jahr bis zu einem Jahr je nach den Umständen des Falles grundsätzlich ausreichen lassen müssen, um eine Prägung des sozialen Standards eines Versicherten zu bejahen; entscheiden sind jedoch stets die Umstände des Einzelfalls.
Rz. 201
Selbst wenn ein leidensbedingter Berufswechsel stattfand, jedoch bereits mehrere Jahre zurückliegt, kann eine die Bedeutung der früheren Tätigkeit verdrängende Verstetigung der neuen beruflichen Tätigkeit stattfinden, obgleich der Wechsel zunächst durch gesundheitliche Einschränkungen ausgelöst worden ist.
Rz. 202
Wurde in der Vergangenheit langjährig eine geringfügige Beschäftigung auf 450 EUR-Basis ausgeübt, muss diese nicht auf eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit ausgeweitet werden, da sodann höhere Abzüge in Kauf genommen werden müssten, die eine Ausweitung der Arbeitszeit nicht lohnenswert und damit unzumutbar machen.
2. Vergleichbare Verdienstmöglichkeiten
Rz. 203
Die Verdienstmöglichkeit stellt einen für die Prägung der bisherigen Lebensstellung gewichtigen Umstand dar. Der mögliche Verweisungsberuf muss dem Versicherten eine vergleichbare Vergütung ermöglichen, wobei die Vergütung grundsätzlich nicht unter das Niveau des zuletzt in gesunden Tagen bezogenen Einkommens absinken darf. Für die Frage, ob der Vergleichsberuf bedingungswidrig einen spürbaren sozialen Abstieg mit sich bringt, stellt die Verdienstmöglichkeit einen gewichtigen, aber nicht den einzigen Faktor dar. Eine gewisse, mit einer Verweisung in einen anderen Beruf verbundene Härte, ist hinzunehmen. Allerdings können ein Mehr an Freizeit wegen reduzierter Arbeitszeit oder angenehmere Arbeitszeiten einen erheblich geringeren Verdienst aus der Verweisungstätigkeit nicht aufwiegen, weil die soziale Stellung maßgeblich vom Einkommen geprägt wird und durch mehr freie Zeit der Lebensunterhalt nicht bestritten werden kann.
Rz. 204
Auch die private Lebenssituation, insbesondere die Frage, ob familiäre Unterhaltspflichten bestehen, ist zu berücksichtigen. Abzugrenzen hiervon sind allerdings Entwicklungen aufgrund des allgemeinen Lebensrisikos, etwa aufgrund der Steigerung der Sozialabgaben oder einer wirtschaftlichen Krisensituation, die zu einer faktischen Verringerung des Einkommens unabhängig von der neuen Tätigkeit als solcher führt (etwa Kurzarbeit). Bei der Vergleichsbetrachtung sind derartige Faktoren grundsätzlich außen vor zu lassen.
Rz. 205
Grundsätzlich gilt, dass bei höheren Einkommen eine stärkere Einbuße des Verdienstes hinzunehmen ist, wohingegen bei niedrigeren Einkünften schon ein verhältnismäßig geringer Minderverdienst unzumutbar sein kann. Eine bestimmte Prozent-Quote, ab der von einer Unzumutbarkeit auszugehen ist, lässt sich nach Rechtsprechung des BGH angesichts der Bandbreite individueller Einkommen jedoch nicht festlegen. Es ist vielmehr eine Beurteilung im Einzelfall angezeigt, da sich eine Einkommens- oder Gehaltsminderung unterschiedlich belastend auswirken kann, je nachdem ob das Einkommen ode...