Rz. 2

Von einem wechselseitige Schutzpflichten auslösenden vorvertraglichen Schuldverhältnis kann nur dann gesprochen werden, wenn auf einen Vertragsabschluss zielende Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss vorbereitende geschäftliche Kontakte aufgenommen worden sind. Ein vorvertragliches Schuldverhältnis entsteht daher nicht, wenn ein Arbeitnehmer oder Arbeitgeber einem anderen, ohne von diesem hierzu aufgefordert zu sein, Bewerbungs- oder Arbeitsunterlagen zusendet. Wird infolge des geschäftlichen Kontaktes ein vorvertragliches Schuldverhältnis begründet, ergeben sich hieraus insb. Aufklärungs- und Obhutspflichten sowie die Verpflichtung, die Vertragsverhandlungen nicht grundlos abzubrechen.

I. Aufklärungspflichten

 

Rz. 3

Jeder Partner des vorvertraglichen Schuldverhältnisses muss den anderen über die für das Zustandekommen und die Abwicklung des Vertrages wesentlichen Umstände unterrichten und ihn insb. über bestehende Gefahren aufklären (vgl. Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 242 Rn 37; BGH v. 12.10.1993, DB 1994, 422; LAG Berlin v. 6.7.1973, BB 1974, 510). Bei den Verhandlungen über den Abschluss eines Arbeitsvertrages muss daher der Arbeitgeber den Bewerber über von der Norm abweichende, insb. überdurchschnittliche Leistungsanforderungen unterrichten. Auf der anderen Seite muss der Bewerber den Arbeitgeber informieren, wenn er die an den zu besetzenden Arbeitsplatz gestellten Anforderungen dauerhaft oder für eine nicht unbeträchtliche Zeit ganz oder zu einem erheblichen Teil nicht erfüllen kann (vgl. zu den Mitteilungspflichten auch oben § 7 Rdn 1 ff.).

II. Obhuts- und Sorgfaltspflichten

 

Rz. 4

Jeder Partner ist aufgrund des vorvertraglichen Schuldverhältnisses verpflichtet, sich so zu verhalten, dass die Rechtsgüter des Verhandlungspartners nicht verletzt werden. So obliegen dem Arbeitgeber die Verkehrssicherungspflichten für die Zu- und Abgänge zum Betrieb. Auch hat er die überreichten Bewerbungsunterlagen so aufzubewahren, dass Verschmutzungen und Beschädigungen vermieden werden.

III. Verpflichtung, Vertragsverhandlungen nicht grundlos abzubrechen

 

Rz. 5

Zwar sind die Verhandlungspartner bis zum endgültigen Vertragsabschluss in ihren Entschließungen grds. frei; eine Schadensersatzpflicht nach § 280 Abs. 1 i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB kann aber dann bestehen, wenn ein Verhandlungspartner die Verhandlungen ohne triftigen Grund abbricht, nachdem er zurechenbarerweise Vertrauen auf das Zustandekommen des Vertrages erweckt hat (Grüneberg/Grünberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 311 Rn 30, 32 m.w.N.). So verstößt der Arbeitgeber etwa gegen die ihm aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis obliegenden Pflichten, wenn er – ohne dass dies zutrifft – bei dem Bewerber erkennbar die Vorstellung erweckt, er sei bereits jetzt zum Vertragsabschluss fest entschlossen, der Arbeitsvertrag werde zustande kommen und der Bewerber könne sich darauf einstellen (LAG Köln v. 28.7.1993, LAGE BGB § 276 Verschulden bei Vertragsschluss Nr. 2).

 

Rz. 6

Veranlasst der Arbeitgeber hierdurch, dass der Bewerber einen bislang sicheren Arbeitsplatz aufkündigt, macht der Arbeitgeber sich schadensersatzpflichtig, wenn er anschließend die Vertragsverhandlungen grundlos abbricht (vgl. BAG v. 7.6.1963, AP Nr. 4 zu § 276 BGB Verschulden bei Vertragsschluss).

 

Rz. 7

Verwirklicht der Arbeitgeber im Zusammenhang mit seiner Einstellungsentscheidung einen Diskriminierungstatbestand nach den Regelungen des AGG, kann sich auch daraus ein Schadensersatzanspruch gegen ihn ergeben (vgl. hierzu im Einzelnen die Ausführungen unter § 19 Rdn 87 ff.).

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