Rz. 208

Der Erfolg oder Misserfolg freiberuflicher Praxen hängt meist entscheidend von der Person des Inhabers und von seinen persönlichen Bindung zu Klienten bzw. Patienten ab.[358] In der Rechtsprechung wird daher zu Recht die Anwendung der Ertragswertmethode i.S.v. IDW S 1 grundsätzlich abgelehnt.[359]

Traditionell wird stattdessen das Sachwertverfahren favorisiert, bei dessen Anwendung jedoch – soweit vorhanden – auch der "Goodwill" zu berücksichtigen ist.[360] Dieser "Goodwill" wird i.d.R. aus einem gewissen Prozentsatz der bereinigten Durchschnittsumsätze der Vorjahre ermittelt, wobei dies branchenabhängig variiert.[361] Die Rspr. bezieht sich dabei oft auf die Bewertungsgrundsätze der entsprechenden Berufsvertretungen (Ärztekammer, Rechtsanwaltskammer).[362]

Bei Auflösung der Praxis kommt für die Bewertung nur der Sachausstattungswert in Betracht.[363] Dem Veräußerungserlös bei einem Verkauf im Ganzen kommt auch hier erhebliche Bedeutung zu, zumal sonst kaum Vergleichswerte zur Verfügung stehen.[364]

 

Rz. 209

Der BGH geht (bzw. ging) davon aus, dass bei einer schon vom Erblasser langfristig verpachteten Apotheke, bei der der Pächter ein Ankaufsrecht besitzt, auch der Goodwill der Apotheke als zum Nachlass gehörig angesehen werden und mit bewertet werden müsse, weil er sich auf die Kalkulation des Pachtzinses ausgewirkt habe.[365] Ob dies in dieser Allgemeinheit zutrifft, darf wohl bezweifelt werden. Im Einzelfall wird die Lösung von der Frage abhängig sein, wie bei Ausübung des Ankaufsrechts der Kaufpreis bemessen werden soll, oder ob eine anderweitige Verwertung der Apotheke (unter Nutzung des Goodwills) möglich ist.

 

Rz. 210

Die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung haben am 22.12.2008 gemeinsame "Hinweise zur Bewertung von Arztpraxen" vom 9.9.2008 veröffentlicht.[366] Auch wenn diese Hinweise die mit Wirkung zum 1.1.2009 eingeführte Gebührenordnung durch den einheitlichen Bewertungsmaßstab und damit einhergehende wesentliche Veränderungen der zu erwartenden Umsätze nicht berücksichtigen und daher berechtigter Kritik ausgesetzt sind,[367] ist davon auszugehen, dass sie nach wie vor in der Praxis Beachtung finden.[368] Denn neuere Verlautbarungen hat es (bis Mitte 2017) nicht gegeben.

 

Rz. 211

Der Wert einer Arztpraxis umfasst demnach grundsätzlich die Gesamtheit von Einrichtung, Ausstattung, Personal, Patientenstamm und Gewinnaussichten. Dabei ist der wirtschaftlichen Einheit Arztpraxis das ganze Unternehmen einschließlich etwaiger vertragsärztlicher, ggf. stationärer sowie berufsgenossenschaftlicher und privatärztlicher Tätigkeiten zuzuordnen. Für den Fall der Fortführung setzt sich der Wert der Praxis aus dem Substanzwert auf der einen und dem ideellen Wert (Goodwill) auf der anderen Seite zusammen.

 

Rz. 212

Basis für die Ermittlung des Substanzwerts ist das Anlagenverzeichnis. Darin sind sämtliche Wirtschaftsgüter und Schulden mit ihren Verkehrswerten anzusetzen, wobei technische Neuerungen, amtliche Auflagen und das aktuelle Preisniveau zu berücksichtigen sind.

 

Rz. 213

Der ideelle Wert (Goodwill oder immaterielle Praxiswert) repräsentiert die (in Geld ausgedrückte) Chance, eine eingeführte Arztpraxis mit ihrem Patienten- oder Überweiserstamm wirtschaftlich erfolgreich fortzuführen. Die "Praxis" umfasst dabei auch die bestehende Organisation sowie die gewachsene Infrastruktur in der betreffenden Region, die Patientenzahl und die Leistungsfähigkeit. Auch diese Aspekte wirken sich daher auf die Bemessung des ideellen Praxiswerts aus. Ebenfalls zu berücksichtigen ist aber die bei Arztpraxen typischerweise festzustellende deutlich überdurchschnittliche Personengebundenheit, die eine Vergleichbarkeit mit einem Geschäfts- oder Firmenwert anderer Branchen nur eingeschränkt zulässt.

 

Rz. 214

Nach den Hinweisen der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung soll der ideelle Praxiswert nach folgender Formel errechnet werden:

 
  Übertragbarer Umsatz
./. übertragbare Kosten
= übertragbarer Gewinn
./. alternatives Arztgehalt
= nachhaltig erzielbarer Gewinn
X Prognosemultiplikator
= ideeller Wert (Goodwill)
 

Rz. 215

Der übertragbare Umsatz ist aus den durchschnittlichen Umsätzen der letzten drei Kalenderjahre vor dem Jahr der Übertragung abzuleiten. Einzubeziehen sind alle Umsatzteile, die nicht ausschließlich und individuell dem Praxisinhaber personengebunden zugerechnet werden müssen (z.B. Gutachtertätigkeit, personenbezogene Abrechnungsgenehmigungen, Belegarzttätigkeit, betriebsärztliche Tätigkeit, individuelle Erträge wie Miet- oder Zinserträge). Sonstige Besonderheiten, wie z.B. Krankheitszeiten des Praxisinhabers, sind ebenso wie vorhersehbare künftige Veränderungen (insbesondere hinsichtlich der Abrechnungsmöglichkeiten) zu berücksichtigen. Bei der Bemessung der Umsätze ist also i.d.R., ggf. abweichend von der Realität, eine Vollzeittätigkeit des Inhabers zu unterstellen.

 

Rz. 216

Spiegelbildlich zu den übertragbaren Umsätzen sind auch die übertragbaren Kosten zu erfassen. Diese ...

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