Rz. 79
Bevor man über den Urkundenbeweis spricht, ist es zunächst notwendig, sich eine Vorstellung davon zu verschaffen, was überhaupt eine Urkunde ist. Jeder weiß, dass ein Schriftstück, bspw. ein schriftlicher Vertrag oder ein Brief, eine Urkunde ist. Die Definition der Urkunde, die die Rechtsprechung entwickelt hat, geht jedoch viel weiter. Nach ihr ist eine Urkunde eine verkörperte Gedankenerklärung, die ihren Aussteller erkennen lässt. Dies bedeutet, dass beispielsweise auch der Bierdeckel in einer Kneipe, auf dem die getrunkenen Biere mit Strichen notiert werden, eine Urkunde ist. Verkörpert ist dort die Gedankenerklärung, dass jeder Strich ein getrunkenes Bier darstellt, Aussteller ist der/die bedienende KellnerIn.
Rz. 80
Der Urkundenbeweis wird regelmäßig durch Vorlage einer Originalurkunde im Termin zur Beweisaufnahme angetreten. Ist der Beweisführer im Besitz der Urkunde, ergeben sich keine Schwierigkeiten. Anders ist es, wenn der Prozessgegner die Urkunde bei sich hat. In diesem Fall wird der Beweis durch den Antrag angetreten, dem Gegner die Vorlegung der Urkunde aufzugeben (§ 421 ZPO). Der Antrag folgt dabei der in § 424 ZPO vorgegebenen Form, d.h. er muss die genaue Bezeichnung der Urkunde enthalten, die zu beweisende Tatsache, den Inhalt der Urkunde, eine Begründung dafür, warum sich die Urkunde im Besitz des Gegners befindet und eine Bezeichnung des Grundes, warum der Gegner zur Vorlegung verpflichtet sein soll, wobei der Grund glaubhaft zu machen ist. Kommt der Gegner dieser gerichtlichen Aufforderung nicht nach, so betreibt er Beweisvereitelung. Es trifft ihn dann die Beweislast dafür, dass das durch die Urkunde zu Beweisende vom Prozessgegner Behauptete unwahr ist, vgl. § 427 ZPO. In derselben Weise können auch Dritte zur Vorlegung von Urkunden verpflichtet werden (§§ 428 ff. ZPO).
Rz. 81
Ständiger rechtsanwaltlicher Praxis entspricht es, die im Termin vorzulegenden Urkunden mit den den Termin vorbereitenden Schriftsätzen in Kopie dem Gericht einzureichen und dem Gegner zuzuleiten. Streng genommen ist dies noch kein Urkundenbeweis, andererseits bleibt der Inhalt der Urkunde bei dieser Art des Vorgehens häufig unstreitig, so dass der eigentliche Urkundenbeweis nicht mehr geführt werden muss.
Rz. 82
Zu unterscheiden ist zwischen öffentlichen Urkunden über Erklärungen (§ 415 ZPO), deren Beweiskraft sich auf den gesamten beurkundeten Vorgang erstreckt, öffentlichen Urkunden über Vorgänge, die gem. § 418 ZPO die in ihnen bezeugten Tatsachen in vollem Umfang bezeugen, öffentlichen Urkunden mit behördlicher Erklärung, die ihren gesamten Inhalt beweisen und Privaturkunden, die in den Fällen des § 416 ZPO lediglich beweisen, dass die in ihnen enthaltenen Erklärungen von ihrem Aussteller abgegeben worden sind, nicht aber den Wahrheitsgehalt der Erklärungen dartun.
Rz. 83
Grundsätzlich gilt hinsichtlich der öffentlichen Urkunden, dass der Beweis ihrer Unrichtigkeit oder der Unrichtigkeit ihrer Beurkundung geführt werden kann, vgl. §§ 415 Abs. 2, 418 Abs. 2 ZPO. Über die Echtheit einer Privaturkunde hat sich der Gegner wahrheitsgemäß nach §§ 439 Abs. 1, 138 ZPO zu erklären. Tut er dies nicht – auch nicht konkludent, § 439 Abs. 3 ZPO – so gilt die Urkunde für das Verfahren als echt. Wird die Echtheit bestritten, ist sie gem. § 440 ZPO zu beweisen. Dabei gilt, dass im Fall der unstreitigen Echtheit der Unterschrift unter der Urkunde der sich über der Unterschrift befindende Teil der Urkunde die – widerlegbare – Vermutung der Echtheit für sich hat. Ansonsten empfiehlt es sich, die Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde durch Zeugenaussagen zu ihrer Entstehung oder durch Schriftsachverständigengutachten zu beweisen. Bei Zweifeln an der Urkunde, die durch äußere Mängel wie Radierungen und sonstige Veränderungen entstehen, entscheidet das Gericht nach seiner Überzeugung (§ 419 ZPO).