Rz. 7
Von dem Anwalt zu beachten ist weiterhin, dass er für die Beibringung des für die Streitentscheidung maßgeblichen Sachverhalts zuständig ist, so genannter Verhandlungs- oder auch Beibringungsgrundsatz.
1. Umfang
Rz. 8
Nach diesem Grundsatz haben die den Rechtsstreit führenden Parteien die Aufgabe, alle Tatsachen, die für ihre Rechtsverfolgung notwendig sind, dem Gericht substantiiert vorzutragen und ggf. zu beweisen. Alles das, was nicht ausdrücklich oder konkludent, d.h. nach den Umständen vorgetragen ist, berücksichtigt das Gericht nicht. Dabei haben sich die Parteien gem. § 138 Abs. 1 ZPO über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß zu erklären. Hieraus folgt einerseits, dass bereits in der Klageschrift nicht nur die dem Kläger günstigen tatsächlichen Umstände Niederschlag zu finden haben, sondern auch die für eine wahrheitsgemäße Darstellung notwendigen negativen Umstände.
Andererseits ist es nicht Sache des Klägers, den – möglicherweise unsubstantiierten – Vortrag der beklagten Partei vorwegzunehmen.
Rz. 9
Wie der Kläger oder sein Prozessbevollmächtigter jeweils vorgeht, bleibt dem Einzelfall überlassen und gehört zu der "Kunst" des Handwerks des Rechtsanwalts. Es dürfte sich jedoch in der Regel zumindest bei einfacheren vorprozessualen Einwänden gegen den klägerischen Anspruch empfehlen, diese in die Klageschrift aufzunehmen und bereits dort argumentativ zu widerlegen. Bedürfen die Einwände des Beklagten umfangreichen und regelmäßig streitigen Tatsachenvortrags, so ist es womöglich nicht sinnvoll, diesen bereits in der Klageschrift abzuhandeln. Dies sollte dann erst in der Replik (so wird der Klägerschriftsatz genannt, der auf die Klageerwiderung des Beklagtenanwalts folgt) geschehen, wenn nach der Klageerwiderung klar ist, welche Einwände der Beklagte gegen eine Forderung überhaupt erhoben hat und ob dies in ordnungsgemäßer und prozessual erheblicher Form geschehen ist. Von Anfang an muss der Rechtsanwalt fast pedantisch bei den "Erzählungen" seines Mandanten zum Sachverhalt nachfragen, ob und wie dieser Aspekt beweisbar ist. Den Mandanten muss dabei natürlich klar gemacht werden, dass man nicht an deren Darstellung zweifelt, man diese aber im Zweifel vor Gericht, dem vermeintlich von der Gegenseite eine ganz abweichende Sachverhaltsdarstellung unterbreitet wird, beweisen muss.
2. Büromäßige Behandlung
Rz. 10
Sämtlichen Tatsachenbehauptungen sollten von Anbeginn an die notwendigen Beweisantritte zur Seite gestellt werden, um dem Gericht von vornherein jede Möglichkeit zu nehmen, Vortrag als verspätet zurückzuweisen, aber auch um selbst von Anfang an soweit möglich Klarheit über die Beweissituation zu haben. Gleichzeitig wird das eigene Risiko minimiert, entscheidungserheblichen Vortrag der Gegenseite zu übersehen und das Verfahren deshalb zu verlieren, weil das Gericht einen Tatsachenvortrag mangels Beweisangebots als unsubstantiiert zurückweist.
3. Rechtsvortrag
Rz. 11
Zwar ist theoretisch der Vortrag rechtlicher Ausführungen entbehrlich, da die Rechtsfindung Sache des angerufenen Gerichts ist. Allerdings ist es regelmäßig sinnvoll, schon deswegen rechtliche Ausführungen zu machen, um sich selbst dahingehend zu überprüfen, ob der Tatsachenvortrag, der unzweifelhaft alleinig dem Anwalt obliegt, überhaupt geeignet ist, die Tatbestandsmerkmale der rechtlichen Normen schlüssig auszufüllen. Eine Klageschrift betreffend einen komplexeren Sachverhalt ist dabei für das Gericht immer dann gut lesbar, wenn die Klage möglichst nach Tatsachen einerseits und rechtlichen Ausführungen andererseits unterscheidet, wie es dann ja auch in dem Urteil nach Tatbestand (Sachverhalt) und Entscheidungsgründen (rechtliche Ausführungen) vom Gericht praktiziert wird.