Rz. 57
Erlässt das Gericht einen Beweisbeschluss, findet – normalerweise in einem gesonderten Termin – eine Beweisaufnahme mit regelmäßig unmittelbar anschließender Fortsetzung der Hauptverhandlung statt. Diese Beweisaufnahme findet statt, nachdem zuvor die bereits gestellten Anträge wiederholt bzw. erforderlichenfalls in geänderter Form gestellt wurden.
I. Notwendigkeit der Beweisaufnahme
Rz. 58
Eine Beweisaufnahme ist im Zivilverfahren dann notwendig, wenn die Parteien einander widersprechende Tatsachen vortragen und diese für die Entscheidung des Rechtsstreits entscheidungserheblich sind. Um dies herauszufinden, geht das Gericht in einem ersten Schritt dabei so vor, dass es die einander widersprechenden Tatsachenbehauptungen der Parteien einander gegenüberstellt. Das Gericht muss dann entscheiden, welche Behauptungen überhaupt für die Entscheidung des Rechtsstreits wesentlich sind.
Beispiel:
A behauptet, er habe mit B einen Kaufvertrag über eine Küchenmaschine für 1.000,00 EUR abgeschlossen. Die Küchenmaschine sei mangelfrei geliefert worden. B habe aber trotzdem den vereinbarten Kaufpreis nicht gezahlt. B verteidigt sich mit dem Vorbringen, ein Kaufvertrag mit ihm sei nicht geschlossen worden. Er habe beim Vertragsschluss lediglich die C vertreten. Dies bestreitet A und sagt, zumindest habe B ihm nicht zu erkennen gegeben, dass er C vertreten wolle. Dem widerspricht B nicht.
Bei dieser Konstellation stehen sich zwei Behauptungen gegenüber: A behauptet, B habe die C nicht vertreten, B behauptet, er habe C vertreten. Trotzdem bedarf es einer Beweisaufnahme hier nicht, denn eine Vertretung ist nur dann dem Vertragspartner gegenüber wirksam, wenn sie nach außen hin deutlich geworden ist (vgl. § 164 Abs. 1 S. 1 BGB). Dies ist hier nicht der Fall, wie dem unwidersprochen gebliebenen Prozessvortrag von A zu entnehmen ist. Eine Beweisaufnahme ist folglich nicht notwendig.
Anders wäre es, wenn B nach dem Vortrag des A, die Vertretung sei ihm nicht mitgeteilt worden, vorgetragen hätte, er habe dem A bei Abschluss des Vertrages mitgeteilt, dass er nur für die C und nicht in eigenem Namen handeln würde. In diesem Fall hätte über diese Behauptung Beweis erhoben werden müssen, wenn B – Umkehr der Beweislast – Beweis dafür angeboten hat, dass er für A erkennbar im Namen des C gehandelt hat.
II. Beweislast
Rz. 59
Ist eine Beweisaufnahme notwendig, muss der Richter nach deren Durchführung entscheiden, welcher der Darstellungen der Parteien er folgen will. Bei dieser Entscheidung ist er nicht völlig ungebunden, er ist vielmehr gehalten, zur Erforschung der Wahrheit anhand der sog. Beweislastregeln Beweis zu erheben und anhand des Ergebnisses einer förmlich durchgeführten Beweisaufnahme eine Entscheidung zu fällen.
Unter Beweislast versteht man dabei den Nachteil, den eine Partei prozessual ertragen muss, wenn eine entscheidungsrelevante Tatsache im Gerichtsverfahren nicht nachgewiesen oder unstreitig gestellt wird.
1. Faustregel
Rz. 60
Als grundlegende Beweislastregel gilt, dass immer derjenige, der sich auf eine ihm günstige Rechtsfolge einer Norm beruft, die für die Anwendung der Rechtsnorm erforderlichen Tatsachen zu beweisen hat. Beruft sich beispielsweise jemand auf einen ihm angeblich zustehenden Kaufpreisanspruch, muss er diesen im Bestreitensfall beweisen, d.h. beweisen, dass ein Kaufvertrag überhaupt geschlossen worden ist und dass die für die Fälligkeit normalerweise erforderliche mangelfreie Lieferung des Kaufgegenstandes erfolgt ist. Bleibt hingegen unstreitig, dass ein Vertrag geschlossen und die geschuldete Leistung vom Verkäufer erbracht worden ist, beruft sich jedoch der Käufer auf Sachmängel, so bedeutet dies, dass für diese Sachmängel, die dem Käufer Gegenrechte gegen den Kaufpreisanspruch verleihen, der Käufer beweispflichtig ist, sofern es sich nicht um einen sog. Verbrauchsgüterkauf handelt, bei dem gem. § 476 BGB in den ersten sechs Monaten seit Gefahrübergang der Verkäufer beweisen muss, dass die Sache bei Übergabe an den Käufer mangelfrei war.
2. Ausnahmen
Rz. 61
Ausnahmen von dieser Regel gibt es regelmäßig nur dann, wenn das Gesetz sie – wie in § 476 BGB – ausdrücklich vorsieht. Beispiele hierfür finden sich insbesondere im Produkthaftungsrecht oder auch im Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen.
3. Büromäßige Behandlung
Rz. 62
Die Beweislastregeln erfordern von dem Rechtsanwalt besondere Vorsicht. An ihnen wird deutlich, dass der Rechtsanwalt sich nicht darauf beschränken kann, bei der Bearbeitung eines Zivilrechtsfalles ausschließlich den Sachverhalt vorzutragen. Wenn der Rechtsanwalt nicht die maßgeblichen Rechtsnormen prüft, weiß er gar nicht, welche Tatsachen er überhaupt dem Gericht notfalls unter Beweisantritt vortragen muss. Umgekehrt wüsste er auf der Beklagtenseite nicht, welchen Sachverhalt er vortragen muss, um dem Vortrag der Klägerseite entscheidungserheblich zu widersprechen. Von der Anwendung der Beweislastregeln hängt wesentlich auch die Risikobewertung ab, die typischerweise von der Mandantenseite dem Anwalt angetragen wird. Es ist auch anzuraten, die Mandanten jeweils auf Beweislast...