Rz. 78
Der pflichtteilsberechtigte Vermächtnisnehmer kann das Vermächtnis ausschlagen und den Pflichtteil geltend machen, gleichgültig, ob der Wert des Vermächtnisses den Pflichtteilsanspruch erreicht oder ihn sogar übersteigt. Die Ausschlagung ist weder an eine Form noch an eine Frist gebunden; sie ist gegenüber demjenigen zu erklären, der mit dem Vermächtnis beschwert ist, § 2180 Abs. 2 S. 1 BGB.
Damit sich der pflichtteilsbeschwerte Erbe Klarheit verschaffen kann, ob er das Vermächtnis oder den Pflichtteil zu erfüllen hat, kann er dem Vermächtnisnehmer eine Frist setzen, sich darüber zu erklären, ob er das Vermächtnis annimmt: § 2307 Abs. 2 S. 1 BGB (vgl. das Muster in Rdn 73). Die gesetzte Frist muss angemessen sein im Hinblick auf die vom pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmer zu treffende Entscheidung. Die Frist wird deshalb nicht vor Auskunftserteilung gem. § 2314 BGB ablaufen. Eine zu kurze Fristsetzung setzt – wie in anderen Rechtsgebieten auch – eine angemessene in Gang.
Lässt der Vermächtnisnehmer die Frist ohne Erklärung verstreichen, so gilt das Vermächtnis als ausgeschlagen, § 2307 Abs. 2 S. 2 BGB. Danach kann der Pflichtteilsanspruch in voller Höhe verlangt werden. Es handelt sich um eine Fiktion, deshalb tritt unabhängig vom Willen des Pflichtteilsberechtigten die Wirkung der Ausschlagung ein. Aber die Fristversäumung kann trotzdem gem. §§ 2308 Abs. 2 S. 1, 1956 BGB angefochten werden.
Die Ausschlagungsfiktion des § 2307 Abs. 2 S. 2 BGB kann im Falle eines Vorausvermächtnisses nicht eintreten, wenn der mit dem Vorausvermächtnis bedachte Miterbe die Erbschaft bereits angenommen hat.
Mehrere Erben können die Frist nur gemeinsam setzen.
§ 2180 BGB sieht keine Frist für die Ausschlagung eines Vermächtnisses vor. Die Regelung des § 1944 BGB, wonach die Ausschlagung nur binnen sechs Wochen erfolgen kann, findet auf das Vermächtnis keine Anwendung, da in § 2180 Abs. 3 BGB auf sie gerade nicht verwiesen wird. Eine analoge Anwendung des § 1944 BGB jedenfalls im Fall des § 2271 Abs. 2 BGB (Wegfall der Bindung eines wechselbezüglichen Testaments bei Ausschlagung einer Zuwendung), um einen Zustand länger andauernder Rechtsunsicherheit zu vermeiden, kommt nicht in Betracht.
Abgesehen davon, dass es angesichts der eindeutigen Regelung in § 2180 Abs. 3 BGB bereits an einer planwidrigen Gesetzeslücke fehlt, kann dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit in überschaubarer Zeit auch auf andere Weise genügt werden. Zunächst ist eine Ausschlagung nach § 2180 Abs. 1 BGB ohnehin nur dann möglich, wenn das Vermächtnis nicht bereits angenommen wurde, außerdem kann der Erbe, wenn es sich bei dem Vermächtnisnehmer zugleich um einen Pflichtteilsberechtigten handelt, diesem nach § 2307 Abs. 2 BGB eine angemessene Frist zur Erklärung über die Annahme des Vermächtnisses setzen. Mit dem Ablauf der Frist gilt das Vermächtnis als ausgeschlagen, wenn nicht vorher die Annahme erklärt wird.