Rz. 270
Bei der Anordnung von Vermächtnissen ist zwischen der Vermächtnisform und dem Vermächtnisgegenstand (Inhalt) zu unterscheiden. Bei der Vermächtnisform handelt es sich um die vom Gesetz jeweils vorgesehenen Möglichkeiten, die Art der Vermächtnisanordnung zu wählen. So kann z.B. ein Gegenstand durch Verschaffungsvermächtnis zugewandt werden oder dem Bedachten kann durch Anordnung eines Wahlvermächtnisses die Entscheidung, welchen Gegenstand er erhalten will, selbst überlassen werden.
I. Verschaffungsvermächtnis
1. Allgemeines
Rz. 271
Grundsätzlich kann Inhalt eines Vermächtnisses jeder im Nachlass befindliche Gegenstand oder jedes durch den Erben einräumbare Recht sein. Beim Verschaffungsvermächtnis besteht im Gegensatz zur sonstigen Vermächtnisanordnung die Besonderheit, dass ein nicht (mehr) zum Nachlass gehörender bestimmter Gegenstand oder ein Recht vermacht wird, indem der Beschwerte verpflichtet wird, dem Bedachten den entsprechenden Gegenstand oder das Recht nach dem Erbfall zu verschaffen, § 2170 BGB.
Rz. 272
Aus der Anordnung des Erblassers muss sich ergeben, dass er das Vermächtnis auch gerade für diesen Fall angeordnet hat. Ist der mit dem Verschaffungsvermächtnis Beschwerte nicht in der Lage, das Vermächtnis zu erfüllen, so hat er gem. § 2170 Abs. 2 S. 1 BGB den Wert zu ersetzen. Sofern die Verschaffung des Vermächtnisgegenstandes nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist, kann sich der Beschwerte durch Entrichtung des Wertersatzes hiervon befreien (§ 2170 Abs. 2 S. 2 BGB).
Wird das Vermächtnis durch Erbvertrag angeordnet, ist § 2288 Abs. 2 BGB zu beachten. Falls der Erblasser den vermachten Gegenstand vor dem Erbfall in Beeinträchtigungsabsicht veräußert oder belastet hat, so ist der Erbe automatisch auch ohne besondere Anordnung verpflichtet, dem Bedachten den Gegenstand zu verschaffen oder die Belastung zu beseitigen (vgl. Rdn 279).
2. Auslegung und Beweislast
Rz. 273
Gemäß § 2169 BGB wird vermutet, ein Vermächtnis sei unwirksam, wenn der Gegenstand zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr im Nachlass vorhanden ist. Deshalb trägt der mit dem Vermächtnis Bedachte die Beweislast dafür, dass der Erblasser ihm entgegen § 2169 Abs. 1 BGB den nachlassfremden Gegenstand zuwenden wollte. Indiz hierfür ist das Wissen des Erblassers im Anordnungszeitpunkt, dass der Gegenstand nicht zum Nachlass gehören würde, oder sein Irrtum, der Gegenstand gehöre zum Vermögen. Nach § 2169 Abs. 1 BGB tritt nämlich im Falle der Veräußerung des vermachten Gegenstandes durch den Erblasser der Erlös grundsätzlich nicht an die Stelle des Vermächtnisgegenstandes.
Rz. 274
Ein Verschaffungsvermächtnis ist auch dann anzunehmen, wenn der Erblasser dem Bedachten den vermachten Gegenstand unbedingt zukommen lassen wollte und er wirtschaftlich im Nachlass enthalten ist. In der konkreten Gestaltung bietet sich die ausdrückliche Anordnung gerade auch für den Fall an, dass der Gegenstand im Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr vorhanden ist; besser ist, das Vermächtnis zusätzlich ausdrücklich als Verschaffungsvermächtnis zu bezeichnen.
3. Praktische Anwendung und Grenzen
Rz. 275
In der Praxis kommen Verschaffungsvermächtnisse bei Gesamthands- oder Miteigentum vor oder bei Herausgabevermächtnissen, bei denen ein Inbegriff von Gegenständen oder ein Bestand von Zubehörstücken herauszugeben ist. Die Erben oder sonstigen Bedachten können aber nicht unbegrenzt mit einem Verschaffungsvermächtnis belastet werden. Eine Grenze bildet insoweit die beschränkte Erbenhaftung sowie die Beschränkung eines Untervermächtnisses auf den Wert des Hauptvermächtnisses gem. § 2187 Abs. 1 BGB. Danach sind dem Verschaffungsvermächtnis insoweit Grenzen gesetzt, als der Wert des zu verschaffenden Gegenstandes wirtschaftlich im Nachlass enthalten sein muss, da die Erben nur in Höhe des Nachlasswertes für die Verbindlichkeiten haften.
Probleme können sich auch für einen Testamentsvollstrecker ergeben, der ein Verschaffungsvermächtnis erfüllen soll. Er haftet nicht, wenn er aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen ein Verschaffungsvermächtnis nicht erfüllen kann, weil bspw. die Nachlassmittel dazu fehlen.
Ein originär angeordnetes Vermächtnis kann sich in ein Verschaffungsvermächtnis umwandeln, wenn der Erblasser zu Lebzeiten vorweg Leistungen erbringt, die eigentlich erst nach seinem Tode zur Erfüllung vorgesehen waren.
4. Verhältnis von § 2169 BGB zu § 2288 BGB
Rz. 276
Eine Vermächtnisanordnung ist unwirksam, wenn der vermachte Gegenstand beim Erbfall nicht mehr zum Nachlass gehört und wenn der Erblasser auch nicht wollte, dass der Gegenstand dem Bedachten verschafft werden solle, § 2169 Abs. 1 BGB. Die Vorschriften zum Verschaffungsvermächtnis, §§ 2169, 2170 BGB, gelt...