Rz. 135
Abgesehen von den vom Erblasser selbst angeordneten Abweichungen von den gesetzlichen Regeln der Vermächtniskürzung nach §§ 2324, 2188 BGB darf dem selbst pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmer gegenüber der Vermächtnisanspruch nach § 2318 Abs. 2 BGB nur insoweit gekürzt werden, dass ihm selbst der Pflichtteil verbleibt. Diese Vorschrift ist vom Erblasser nicht abänderbar, weil sich § 2324 BGB nur auf Absatz 1 von § 2318 BGB bezieht und der Erblasser andernfalls in das Pflichtteilsrecht des Vermächtnisnehmers eingreifen würde.
Rz. 136
Ist im Falle der Zugewinngemeinschaft der überlebende Ehegatte der Vermächtnisnehmer, so richtet sich die Grenze der Kürzungsmöglichkeit nach dem sog. großen Pflichtteil, was wiederum Auswirkungen auf die Höhe der Pflichtteilsquoten der anderen Pflichtteilsberechtigten hat.
Rz. 137
Ist der pflichtteils- und vermächtnisbelastete Erbe seinerseits selbst pflichtteilsberechtigt, so kann er nach § 2318 Abs. 3 BGB das Vermächtnis wegen der Pflichtteilslast – nicht auch wegen seines eigenen Pflichtteils – soweit kürzen, dass ihm sein eigener Pflichtteil verbleibt.
Hinweis
Hat der Erbe die Erbschaft mit allen Belastungen angenommen, so muss er diese auch unter Verletzung seines eigenen Pflichtteils erfüllen.
Rz. 138
Da eine Vermächtnisanordnung nach § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. (Erbfall bis 31.12.2009) ohnehin dann unwirksam ist, wenn dem pflichtteilsberechtigten Erben ein Erbteil hinterlassen ist, der geringer ist als der Pflichtteil, findet § 2318 Abs. 3 BGB nur dann Anwendung, wenn der hinterlassene Erbteil größer ist als der Pflichtteil und der Erbe seinerseits nicht selbst nach § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. ausgeschlagen hat, um den Pflichtteil zu verlangen.
Rz. 139
Änderung durch die Erbrechtsreform: Für alle seit 1.1.2010 eingetretenen Erbfälle wurde die Differenzierung in § 2306 Abs. 1 BGB a.F. nach Satz 1 (hinterlassener Erbteil kleiner oder gleich groß wie Pflichtteil) einerseits und Satz 2 (hinterlassener Erbteil größer als Pflichtteil) andererseits aufgehoben. Hielt der Erbe nach altem (bis 31.12.2009 geltendem) Recht die Erbschaft fälschlicherweise für größer als den Pflichtteil und schlug er sie deshalb aus, um sich von den Belastungen zu lösen, verlor er auch den Pflichtteil. Diese für den Erben unübersichtliche und deshalb auch gefährliche Regelung wurde vereinfacht.
Jeder pflichtteilsberechtigte Erbe, der Beschränkungen oder Beschwerungen unterliegt, soll in den seit 1.1.2010 eingetretenen Erbfällen das Erbe ohne Rücksicht auf dessen Höhe ausschlagen und statt seines Erbteils den Pflichtteil verlangen können.
Ist der Erbteil kleiner als die Pflichtteilsquote, so kann der Pflichtteilsberechtigte gem. § 2305 BGB den Zusatzpflichtteil verlangen.
Rz. 140
Hinweise
Nach geltendem Recht sind Belastungen eines Erbteils auch dann wirksam, wenn der Erbteil unter der Pflichtteilsquote liegt. Dem belasteten pflichtteilsberechtigten Erben steht in den seit 1.1.2010 eingetretenen Erbfällen – gleichgültig, ob das ihm Hinterlassene kleiner, gleich groß oder größer als sein Pflichtteil ist – ein Wahlrecht zu:
(1) Er kann die Erbschaft mit allen Belastungen annehmen – und muss diese auch unter Verletzung seines Pflichtteilsanspruchs erfüllen – oder
(2) er schlägt die Erbschaft aus und verlangt den Pflichtteil.
Ist der Erbteil kleiner als die Pflichtteilsquote, so kann der Pflichtteilsberechtigte gem. § 2305 BGB den Zusatzpflichtteil verlangen.