1. Bestimmtheit der Vermächtnisanordnung
Rz. 54
Die Bestimmung der Person des Vermächtnisnehmers: Der Erblasser hat nach § 2065 Abs. 2 BGB grundsätzlich die Person des Bedachten und den zugewandten Gegenstand höchstpersönlich zu bestimmen. Dies gilt streng bei der Erbeinsetzung. Im Vermächtnisrecht ist der Grundsatz jedoch abgemildert.
Rz. 55
Der Erblasser kann es in den Fällen der §§ 2151, 2152 BGB (mehrere und wahlweise Bedachte) einem anderen überlassen, aus einem überschaubaren Personenkreis die Person des Vermächtnisnehmers zu bestimmen. Der Erblasserwille entscheidet, ob der Bestimmungsberechtigte bei seiner Auswahl frei ist oder nach billigem Ermessen zu handeln hat.
2. Beschwerung der Erbschaft eines Pflichtteilsberechtigten mit einem Vermächtnis (§ 2306 BGB)
a) Der Zweck des § 2306 BGB
Rz. 56
Das Pflichtteilsrecht hat den Zweck, dem Pflichtteilsberechtigten den Pflichtteilsanspruch ohne Abstriche zukommen zu lassen. Um den Pflichtteil "auf kaltem Wege" auszuhöhlen, könnte ein Erblasser auf den Gedanken kommen, einen Pflichtteilsberechtigten zwar zum Erben einzusetzen, ihn aber mit Vermächtnissen, Auflagen etc. so zu beschweren, dass dem Pflichtteilsberechtigten letztlich nichts oder nur viel weniger als sein rechnerischer Pflichtteil verbliebe.
Beschränkungen und Beschwerungen sind:
Rz. 57
Beispiel
Erblasser E hinterlässt seinen Sohn S und seine Tochter T. In einem Testament setzt er S zu ¼, T zu ¾ zu Erben ein. Außerdem ordnet er an, dass S als Vermächtnis an den Sportverein (e.V.) des E 10.000 EUR zu zahlen habe.
Hier ist offenkundig, dass S letztlich weniger als der Pflichtteil verbliebe: Sein Pflichtteil beträgt ¼ des Nachlasses, also dieselbe Quote wie sein testamentarischer Erbteil. Hat er das Vermächtnis an den Sportverein zu zahlen, so verbleibt ihm weniger, als wenn er nur den Pflichtteil erhielte.
Beispiel (Variante)
Erblasser E hinterlässt seine Kinder S und T. In einem Testament ordnet er ein Vermächtnis zugunsten seines Sportvereins in Höhe von 30.000 EUR an, das vom Erbteil des Sohnes S zu zahlen sei. Über die Erbfolge selbst ist im Testament nichts ausgesagt. Der reine Nachlasswert beträgt 100.000 EUR. Da die Erbfolge nicht geregelt ist, werden S und T gesetzliche Erben. S erbt also die Hälfte, was wertmäßig 50.000 EUR ergibt. Hat er das Vermächtnis in Höhe von 30.000 EUR zu erfüllen, so verbleiben ihm 20.000 EUR. Sein Pflichtteil wäre ¼ oder 25.000 EUR. Ihm blieben also 5.000 EUR weniger, als wenn er nur den Pflichtteil erhielte.
b) Ausschlagung der Erbschaft durch den Pflichtteilsberechtigten
Rz. 58
Will der pflichtteilsberechtigte Erbe seinen ungeschmälerten Pflichtteil erhalten, so muss er die Erbschaft ausschlagen.
Dem belasteten pflichtteilsberechtigten Erben steht ein Wahlrecht zu:
1. |
Er kann die Erbschaft mit allen Belastungen annehmen – und muss diese auch unter Verletzung seines Pflichtteilsanspruchs erfüllen |
oder
2. |
er schlägt die Erbschaft aus und verlangt den Pflichtteil. |
Ist der Erbteil kleiner als die Pflichtteilsquote, so kann der Pflichtteilsberechtigte gem. § 2305 BGB den Zusatzpflichtteil verlangen.
Für die Ausschlagung gelten die allgemeinen Regeln des Erbausschlagungsrechts. Dem Erben steht keine verlängerte Ausschlagungsfrist gem. § 1944 Abs. 3 BGB zu bei bloß eintägigem Auslandsaufenthalt.
Rz. 59
Macht der Erbe von seinem Ausschlagungsrecht keinen Gebrauch, so bleiben die Vermächtnisse bestehen, sie sind also zu erfüllen, gleichgültig, ob wertmäßig der Pflichtteil tangiert wird oder nicht. Der Erbe muss in diesem Falle die Vermächtnisse bis zur völligen Erschöpfung des Nachlasses erfüllen. Dies ergibt sich aus § 1992 BGB (Überschwerungseinrede). Im Prozess muss die Überschwerungseinrede mit dem Antrag auf Aufnahme eines Haftungsbeschränkungsvorbehalts gem. § 780 ZPO in das Urteil geltend gemacht werden.
Rz. 60
Dazu der BGH:
Zitat
"… Der Erbe hat die Wahl, die Erbschaft anzunehmen oder auszuschlagen (§ 1942 BGB). Nimmt er sie an, so hat er ein Vermächtnis grundsätzlich bis zur völligen Erschöpfung des Nachlasses zu erfüllen; das ergibt sich aus der Vorschrift des § 1992 BGB, die auch für den Fall, dass der Nachlass durch das Vermächtnis überschuldet wird, dem Erben ein Befriedigungsweigerungsrecht nur insoweit gibt, als der Nachlass nicht ausreicht (§ 1990 BGB), und ihm für diesen Fall nur die Herausgabe der noch vorhandenen Nachlassgegenstände oder die Zahlung ihres Wertes zur Wahl stellt."
Rz. 61
Im Beispiel der Fallvariante hat S also ein Wahlrecht:
▪ |
Er kann die Erbschaft ausschlagen, dann steht ihm der Pflichtteil zu. |
▪ |
Er kann die Erbschaft annehmen, dann muss er das Vermächtnis zugunsten des Sportvereins in Höhe von 30.000 EUR erfüllen, obwohl ihm dann wertmäßig weniger verbleibt als sein Pflichtteil. |