Rz. 15
Die Obliegenheiten in der Kfz-Haftpflichtversicherung nach dem Versicherungsfall werden in den AKB in Abschnitt E.1.1 und für die KH-Versicherung zusätzlich in Abschnitt E.1.2 AKB 2015 geregelt. Danach ist der Versicherungsnehmer u.a. dazu verpflichtet,
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jeden Versicherungsfall unverzüglich gegenüber dem Versicherer anzuzeigen (Anzeigepflicht); |
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alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes dienlich sein kann (Aufklärungspflicht); |
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alles zu tun, was zur Minderung des Schadens dienlich sein kann (Schadensminderungspflicht); |
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die Erhebung einer Klage gegen den Versicherungsnehmer unverzüglich anzuzeigen; |
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dem Versicherer im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung die Prozessführung zu überlassen (Prozessführungsbefugnis des Versicherers). |
Rz. 16
Zur Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers oder der mitversicherten Person gehört es u.a., sich nicht unerlaubt vom Unfallort zu entfernen. Darüber hinaus darf kein Nachtrunk begangen werden. Das Verbleiben am Unfallort ist jetzt ausdrücklich wie folgt erfasst worden:
Zitat
"Sie dürfen den Unfallort nicht verlassen, ohne die gesetzlich erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen und die dabei gesetzlich erforderliche Wartezeit zu beachten (Unfallflucht)."
Mit dieser Formulierung wird klargestellt, dass aus Sicht des verständigen Versicherungsnehmers der Tatbestand einer Unfallflucht nach dem Maßstab des § 142 StGB zu bestimmen ist und die dafür entwickelten Grundsätze eingreifen. Diese Obliegenheit stellt mithin keine eigenständige Pflicht besonderer Art dar, sondern es muss ein vorsätzliches und rechtswidriges unerlaubtes Entfernen vom Unfallort mit einem entsprechenden Fremdschaden vorliegen.
Besonderheiten können aber bei einem Unfall auf der Autobahn bestehen, bei dem einem Fahrer im Einzelfall ein Abwarten am Unfallort unzumutbar gewesen sein kann: Das sich aus § 18 Abs. 8 StVO ergebende Halteverbot auf Autobahnen kann bei einem Schutzplankenschaden der Annahme einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit aus E.1 AKB 2015 entgegenstehen (OLG Celle, Urt. v. 25.4.2019 – 8 U 210/18 – juris). E.1 AKB 2015 begründet in diesem Fall aber keine der Verpflichtung aus § 142 Abs. 2 StGB entsprechende Obliegenheit, nachträglich Feststellungen zu ermöglichen.
Rechtsfolge der Obliegenheitsverletzung in der Kfz-Haftpflichtversicherung nach dem Versicherungsfall ist ebenfalls die beschränkte Leistungsfreiheit des Versicherers. Der Regress wird gem. § 6 Abs. 1 KfzPflVV in der Regel auf 2.500 EUR je Versicherungsfall, in besonders schwerwiegenden Fällen auf 5.000 EUR je Versicherungsfall (Abs. 3) beschränkt. Letzteres wird z.B. bejaht, wenn der Versicherungsnehmer im Zustand der Trunkenheit einen Unfall mit besonders schweren Schäden verursacht, den Sachverhalt jedoch verschleiern möchte.
Rz. 17
Zu beachten ist ferner, dass die Leistungsfreibeträge bei der Verletzung von sowohl vor als auch nach Eintritt des Versicherungsfalls zu beachtenden Obliegenheiten addiert werden können. Dies ergibt sich aus den unterschiedlichen Schutzrichtungen der jeweiligen Obliegenheiten. Aufgrund der Addition kann zu einer Leistungsfreiheit von bis zu 10.000 EUR je Versicherungsfall kommen.
Rz. 18
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Muster 15.2: Regress bei schwerwiegender Aufklärungspflichtverletzung
Eine besonders schwerwiegende Verletzung der Aufklärungsobliegenheit ist gegeben, wenn sich der Verschuldensvorwurf von einer üblichen Obliegenheitsverletzung deutlich abhebt. Dabei ist auch das Ausmaß des verursachten Schadens zu berücksichtigen, so dass bei einem unerlaubten Entfernen vom Unfallort bei einem Personenschaden eine solche schwerwiegende Verletzung anzunehmen ist (OLG Karlsruhe zfs 1999, 478). Dies gilt erst recht, wenn die versicherte Person dazu noch einen Nachtrunk vornimmt und damit die Ermittlung ihrer Alkoholisierung erschwert (OLG Bamberg VersR 1981, 65). Auch zusätzliche falsche Angaben tragen zu einer schwerwiegenden Obliegenheitsverletzung bei (OLG Köln r+s 1982, 223).
Rz. 19
Genau wie bei einer Obliegenheitsverletzung vor Eintritt des Versicherungsfalls gilt auch bei einer Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls, dass der Versicherer lediglich bei einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung im vollen Umfang leistungsfrei wird. Im Fall der grob fahrlässig begangenen Obliegenheitsverletzung steht dem Versicherer ein vom ihm auszuübendes Leistungskürzungsrecht zu, welches sich an der Schwere des Verschuldens zu orientieren hat.
Rz. 20
Von besonderer Bedeutung ist, dass der Versicherungsnehmer eine Leistungskürzung des Versicherers verhindern kann, wenn er nachweist, dass seine Obliegenheitsverletzung sich weder auf die Feststellung des Versicherungsfalles noch auf die Feststellungen des Versicherers zu einer Leistungsverpflichtung dem Grunde oder der Höhe nach ausgewirkt hat, § 28 Abs. 3 S. 1 VVG. Der Versicherer wird mithin nur leistungsfrei, soweit sich die Obliegenheitsverletzung ausgewirkt hat. Insbesondere wenn...