Rz. 45

Das ProVida-System ist ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der BGH-Rechtsprechung,[1] lässt jedoch verschiedene Messmethoden zu. Diese haben wiederum gemäß Gebrauchsanweisung unterschiedliche Anforderungen.

Entsprechend ist für Geschwindigkeitsmessungen im Urteil zusätzlich anzugeben, ob die Messung durch elektronische Aufzeichnungen oder durch Ablesen, durch stationäre Geräte oder aus einem fahrenden Fahrzeug erfolgt und welcher Toleranzabzug vorgenommen wurde. Bei Messungen aus einem fahrenden Polizeifahrzeug sind zudem die Länge der Verfolgungsstrecke und der Abstand des Polizeifahrzeugs zum Fahrzeug des Betroffenen darzulegen.[2] Hierbei sind Verweise auf Urkunden, welche wiederum auf andere Urkunden Bezug nehmen, unzulässig.[3] Lässt sich indes aus der Urteilsbegründung die nicht konkret angegebene Betriebsart eingrenzen und sind die Anforderungen bei allen in Frage kommenden Methoden erkennbar erfüllt, kann dieser Mangel geheilt sein.[4]

 

Rz. 46

Einige OLG haben mit Hinweis auf die allgemeinen Anforderungen eines standardisierten Messverfahrens ihre bisherige Rechtsprechung aufgegeben und haben die Erforderlichkeit der Angabe der eingesetzten Messart entfallen lassen.[5] Angesichts der unterschiedlichen Anforderungen wäre die Messung dann aber für das Beschwerdegericht nicht überprüfbar.[6] Die Urteilsgründe sind von der Verteidigung diesbezüglich zu überprüfen.

 

Rz. 47

Regelmäßig ist ein Toleranzabzug von 5 % vorzunehmen.[7] Der Abzug einer höheren Toleranz bedarf einer weitergehenden Begründung.[8] Dies ist jedenfalls veranlasst, wenn es sich um eine manuelle Berechnung anhand des aufgenommenen Messfilms handelt.[9] Sofern das Tatgericht dazu tendiert, den Toleranzabzug der werkseitigen Messung heranzuziehen, sollte die Verteidigung rechtzeitig fundierte Beweisanträge – nach Rücksprache mit einem Sachverständigen – für einen höheren Abzug vorbringen.

 

Rz. 48

Die Anfertigung von Aufnahmen im Wege dieses Messverfahrens ist anlassbezogen und der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen somit von § 100h Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG gedeckt.[10]

 

Rz. 49

Die Fehlergrenzen werden in Bezug auf betroffene Motorradfahrer nur bei Messfahrten mit aufrechter Position eingehalten. Somit können die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens bei Kurvenfahrten nicht angewandt werden.[11] Wann eine Schrägfahrt vorliegt, bleibt jedoch unklar.[12] In derartigen Fällen ist die Messung durch einen Sachverständigen zu überprüfen und sodann im Einzelfall zu entscheiden, ob ein höherer Toleranzabzug oder sogar die Verfahrenseinstellung geboten ist.

 

Rz. 50

Sofern die Eichung des polizeilichen Messfahrzeuges mit Sommerreifen erfolgte und nach einem Reifenwechsel wieder Sommerreifen derselben Dimension aufgezogen wurden, ist kein Anhaltspunkt für weitere Sachaufklärung gegeben.[13]

 

Rz. 51

Es bleibt Tatfrage, ob eine Überprüfung der Messung durch einen qualifizierten Sachverständigen angezeigt ist. Beim Größenvergleich des überwachten Fahrzeuges am Anfang und am Ende der Messung mittels manuellen Anlegens von Auswertelinien ist hier jedenfalls der Messbeamte als Zeuge zu vernehmen. Weitere Fragen hierzu sind einem Sachverständigengutachten jedenfalls zugänglich.[14] Ob stets ein pauschaler Abzug von weiteren 5 % Toleranz angezeigt ist, wenn die Zeitmessung erst einige Meter nach dem Messstart in Gang gebracht worden ist, bedarf ebenfalls der tatrichterlichen Klärung.[15] In der Regel wird die Hinzuziehung eines Sachverständigen erforderlich sein.[16]

Bei mehreren Geschwindigkeitsverstößen innerhalb einer Minute auf demselben Autobahnabschnitt ist in der Regel von Tateinheit auszugehen.[17]

 

Rz. 52

Beim Messgerät ProVida 2000 Modular gelten die Grundsätze des standardisierten Messverfahrens. Wie beim ProVida 2000 ist aber auch hier zusätzlich die eingesetzte Messmethode in den Urteilsgründen anzugeben.[18]

Die Tatsache, dass die Eichbehörde die Kabellänge zwischen Signalverstärker und Eingang zum Videonachfahrsystem als sog. Zusatzgerät nicht selbst untersucht hat, führt zu keinem Beweisverwertungsverbot.[19]

Die Videoaufzeichnung ist in der Hauptverhandlung im Wege des Augenscheins einzubringen, Eine bloße Bezugnahme auf das Video gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO genügt hier nicht, da es sich bei einem Film nicht um eine Abbildung im Sinne der Norm handelt.[20]

[1] OLG Schleswig, Beschl. v. 6.1.2011 – 1 Ss OWi 209/10 (214/10), Rn 5, juris; OLG Bamberg, Beschl. v. 3.2.2014 – 2 Ss OWi 5/14, Rn 7, juris = DAR 2014, 334; AG Castrop-Rauxel, Urt. v. 20.8.2014 – 6 OWi – 263 Js 406/13, Rn 12, juris; KG, Beschl. v. 2.4.2015 – 3 Ws (B) 39/15, Rn 6, juris = VRS 128, 200; OLG Saarland, Beschl. v. 2.6.2016 – Ss (Bs) 8/2016 (7/16 OWi), Rn 8, juris = VRS 130, 118 = DAR 2016, 534.
[2] OLG Köln, Beschl. v. 30.7.1999 – Ss 343/99 B, juris = DAR 1999, 516; OLG Hamm, Beschl. v. 4.12.2008 – 3 Ss OWi 871/08, Rn 16, juris = DAR 2009, 156; OLG Schleswig, Beschl. v. 6.1.2011 – 1 Ss OWi 209/10 (214/10), Rn 6, juris = VA 2011, 64; O...

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