Sabine Jungbauer, Dipl.-Ing. Werner Jungbauer
Rz. 212
Jede Nachricht, die über das beA gesendet bzw. empfangen wird, erhält ein sog. "Nachrichtenjournal". Zum Nachrichtenjournal siehe auch § 5 Rdn 88 sowie § 8 Rdn 103 u. 107 in diesem Werk.
Rz. 213
Im Nachrichtenjournal wird konkret ausgewiesen, wer wann eine Nachricht zum ersten Mal geöffnet hat. Hat zunächst ein Mitarbeiter die Nachricht erstmalig geöffnet, weist das Nachrichtenjournal dies auch entsprechend aus. Sofern der Postfachinhaber oder ein Mitarbeiter mit Anwaltseigenschaft die Nachricht ein weiteres Mal (für ihn zum ersten Mal) öffnet, wird auch dieses erstmalige Öffnen des weiteren Nutzers ausgewiesen! Es lässt sich also anhand des Nachrichtenjournals zweifelsfrei nachweisen, wer mit seinem Zugangsmittel und seiner persönlichen PIN wann eine Nachricht erstmalig geöffnet hat. Lediglich wenn das Nachrichtenjournal gelöscht wurde, können derartige Daten der Nachricht nicht mehr entnommen werden. Sofern allerdings ein Gericht aufgrund von Zweifeln (möglicherweise gestreut durch den gegnerischen Prozessbevollmächtigten) ein Nachrichtenjournal anfordert und der entsprechende Prozessbevollmächtigte vortragen muss, dass dieses nicht mehr existiert, da er das Nachrichtenjournal bereits gelöscht hat, kann sich dies im Rahmen der Beweiswürdigung negativ auswirken, siehe hierzu Rdn 212 oben und Rdn 216 unten.
Rz. 214
Stellt aber das Öffnen einer Nachricht (was nicht gleichzusetzen ist mit dem Öffnen des darin befindlichen Anhangs!) schon eine Kenntnisnahme im Sinne des Zustellungsrechts dar?
Rz. 215
Beispiel
An einem Samstag begibt sich ein Rechtsanwalt in die Kanzlei und öffnet dort im beA enthaltene Posteingänge. Aufgrund des schnellen Durchklickens öffnet er auch eine Nachricht, die im Anhang eine Klage über 100 Seiten enthält. Der Anwalt ist hier Mandatsträger, nicht jedoch der sachbearbeitende Rechtsanwalt. Er schließt die Nachricht sofort wieder, ohne den Anhang zu öffnen.
Problem:
Im Nachrichtenjournal wird jetzt ausgewiesen, dass ein Mandatsträger (der benannte Anwalt) hier bereits den Posteingang geöffnet hatte. De facto hat er aber die Anhänge zur Nachricht nicht wirklich zur Kenntnis genommen, sondern lediglich nach dem Öffnen der Nachricht festgestellt und erkannt, dass der Posteingang eine Sache betrifft, die er nicht bearbeitet.
Fortsetzung des Beispiels:
Vier Tage später kommt der sachbearbeitende Rechtsanwalt, sein Kollege, wieder in die Kanzlei und gibt mit Datum dieses Tags der Kenntnisnahme auch das Empfangsbekenntnis ab.
Rz. 216
Mögliche Rechtsfolge:
Wahrscheinlich keine, denn wenn unverzüglich ein Empfangsbekenntnis zu den Akten gelangt, gibt es i.d.R. keinen Grund für ein Gericht oder einen Gegner, am Wahrheitsgehalt eines Empfangsbekenntnisses zu zweifeln. Behauptungen eines Gegners ins Blaue hinein, um die nicht zu gewinnende Sache durch einen Formfehler zu "kippen", dürfen Gerichte u.E. auch keinen Vorschub leisten, da Rechtsanwälten als unabhängige Organen der Rechtspflege grundsätzlich einmal bei abgegebenen Erklärungen zu trauen ist und nur bei berechtigten Zweifeln Gerichte von Amts wegen oder auf Anregung eines Gegners Nachrichtenjournale anfordern sollten. Durch die Ausweisung des Öffnens einer Nachricht im Nachrichtenjournal könnte zwar vielleicht ein Anscheinsbeweis dafür gesehen werden, dass ein Mandatsträger die Eingangspost zur Kenntnis genommen haben könnte. Das Öffnen von Anhängen zu einer Nachricht wird jedoch nicht im beA ausgewiesen; auch nicht durch das Nachrichtenjournal. Daher tendieren wir zu der Auffassung, dass das Nachrichtenjournal nicht ausreichend sein dürfte, die Kenntnisnahme mit Empfangswillen hinreichend genug zu dokumentieren, um als Beweis oder Anscheinsbeweis (Augenscheinsbeweis oder Augenscheinsurrogat) zu dienen.
Rz. 217
Da jedoch zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Werks noch nicht seriös abgeschätzt werden kann, ob und in welche Richtung sich die Rechtsprechung des BGH zu dieser Frage entwickeln wird, empfiehlt sich in solchen Fällen jedoch eine umsichtige Fristenbehandlung: Es sollte nun wahrheitsgemäß von dem entsprechenden sachbearbeitenden Kollegen das Empfangsbekenntnis mit Datum von besagtem Mittwoch versehen und abgegeben werden. Da dies innerhalb eines Zeitfensters von einer Woche (vgl. dazu Rdn 205 in diesem Kapitel) erfolgt, ist mit Rückfragen durch Gericht oder Gegenseite eher nicht zu rechnen. Durch entsprechende eidesstattliche Versicherung des nichtsachbearbeitenden Anwalts, der den Posteingang, nicht aber den Anhang am Samstag zuvor geöffnet hat, könnte auch der Anscheinsbeweis des Nachrichtenjournals entkräftet werden, falls es überhaupt hier in diesem Fall jemals zu einer Vorlagenanordnung käme. Empfehlenswert ist es unseres Erachtens jedoch, dass Kanzleien, bis zu einer Rechtsprechung des BGH zu dieser Frage, die Frist, berechnet ab Samstag, eintragen. Es ist nicht verboten, bei Unsicherheit über das zugrunde zu legende Zustellungsdatum vom frühestmöglichen Datum auszugehen, auch wenn das Empfangsbekenntnis richtigerweise vom ...