§ 15 Zustellungen via beA / III. Ablehnungspflicht – nicht ordnungsgemäße Zustellungen

1. Verweigerung der Mitwirkung

Rz. 74

Wenn die Zustellung nicht ordnungsgemäß ist, ist selbstverständlich auch kein Empfangsbekenntnis abzugeben. Bei einer nicht ordnungsgemäßen Zustellung darf ein Rechtsanwalt die Mitwirkung verweigern, dies muss er dem Absender allerdings unverzüglich mitteilen, siehe dazu § 14 S. 2 BORA. Nach Ansicht der Verfasser bezieht sich das "muss" sowohl auf die Mitteilung der Ablehnung als auch auf die "Unverzüglichkeit", d.h. die Ablehnung muss ohne schuldhaftes Zögern erfolgen. Die Berufspflicht gem. § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO (Pflicht zur Vertretungsbestellung bei Verhinderung der Berufsausübung von mehr als einer Woche) ist auch in diesem Zusammenhang zu beachten.

Rz. 75

Eine nicht ordnungsgemäße Zustellung liegt z.B. vor, wenn

▪	die zuzustellenden Dokumente im Empfangsbekenntnis nicht hinreichend erkennbar benannt sind,
▪	zuzustellende Dokumente fehlen,
▪	völlig andere Dokumente zugestellt werden als diejenigen, die im Empfangsbekenntnis benannt sind,
▪	wenn keine Zustellungsbevollmächtigung besteht oder
▪	die Zustellung unter Missachtung gesetzlicher Vorschriften erfolgt.

2. Ganz oder gar nicht!

Rz. 76

Ein grundsätzliches Problem bei Empfangsbekenntnissen, die via beA abgegeben werden, besteht darin, dass eine nur teilweise Ablehnung/Abgabe nicht möglich ist. beA arbeitet nach dem Prinzip "ganz oder gar nicht".

Beispiel

RAin Anna Kusel erhält einen Zustellungsversuch in ihr beA. Das Gericht übermittelt mit eEB-Anforderung eine gerichtliche Verfügung mit der Aufforderung zur Stellungnahme zum angeblich ebenfalls anliegenden gegnerischen Schriftsatz nebst Anlagen. Sowohl der Schriftsatz als auch die Anlagen fehlen. Es handelt sich somit nicht um eine ordnungsgemäße Zustellung. RAin Kusel verweigert daher die Abgabe des eEB und teilt dies dem Gericht über den strukturierten Datensatz mit.

Rz. 77

Frage 1:

Wie ist dies rechtlich einzuordnen? Denn da der Schriftsatz und die Anlagen fehlen, kann RAin Kusel die geforderte Stellungnahme nicht abgeben; es handelt sich um eine nicht ordnungsgemäße Zustellung i.S.d. § 14 S. 2 BORA; sie ist zur Zurückweisung des eEB berechtigt und hierzu auch unverzüglich verpflichtet. Das Gericht muss eine erneute Zustellung vornehmen (§§ 221 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 329 Abs. 2 S. 2 ZPO); erst dann beginnt die richterliche Frist zu laufen.

Rz. 78

Frage 2:

Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn neben der Verfügung des Gerichts zwar der gegnerische Schriftsatz, nicht aber die dazugehörigen Anlagen übermittelt werden? Das würde unseres Erachtens davon abhängig sein, ob RAin Kusel die geforderte Stellungnahme ohne die Anlagen fertigen kann oder nicht. Sie sollte auch hier die Abgabe des elektronischen Empfangsbekenntnisses verweigern, denn eine ­teilweise Bestätigung (Erhalt des gegnerischen Schriftsatzes, nicht aber der Anlagen) ist nicht möglich; insofern war auch diese Zustellung nicht ordnungsgemäß i.S.d. § 14 S. 2 BORA. Das Gericht muss eine erneute Zustellung vornehmen (§§ 221 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 329 Abs. 2 S. 2 ZPO); erst dann beginnt die richterliche Frist zu laufen. Sicherheitshalber empfehlen wir in solchen Fällen, aber zusätzlich per Schriftsatz darauf hinzuweisen, dass eine Stellungnahme ohne die Anlagen erschöpfend nicht ­möglich ist und daher um Übersendung der Anlagen noch gebeten wird und zudem davon ausgegangen wird, dass die Frist zur Stellungnahme auch erst mit der Zustellung der Anlagen zu laufen beginnt.

3. Bezeichnung der Dokumente im eEB – wann vollständig?

Rz. 79

Achtung! Der BGH hat erst im Februar 2022^[41] entschieden, dass eine Zustellung nicht schon deshalb fehlerhaft ist, weil im Empfangsbekenntnis nur das Sitzungsprotokoll, nicht aber das darin enthaltene Versäumnisurteil erwähnt ist. In einem solchen Fall, so der BGH, reicht es aus, dass das Versäumnisurteil, mit dessen Zustellung die Einspruchsfrist zu laufen beginnt, §§ 338, 339 ZPO, im Sitzungsprotokoll enthalten ist. Es muss nicht explizit zusätzlich erwähnt werden. Diese Entscheidung wird aufgrund ihrer Vielschichtigkeit ausführlich behandelt unter Rdn 143 in diesem Kapitel.

[41] BGH, Urt. v. 11.2.2022 – V ZR 15/21, BeckRS 2022, 9396.