Sabine Jungbauer, Dipl.-Ing. Werner Jungbauer
Rz. 111
Empfangsbekenntnisse, gleich ob in Papierform oder elektronischer Form, sind wahrheitsgemäß mit dem Zustellungsdatum zu versehen. Es verbietet sich von selbst, auch zu eigenen Ungunsten, ein falsches Datum anzugeben, da man schlicht und ergreifend Gerichte und auch die gegnerischen Prozessbevollmächtigten diesbezüglich nicht belügen darf. Auch das Sachlichkeitsgebot gem. § 43a Abs. 3 S. 2 BRAO verbietet es Anwälten, im Zusammenhang mit ihrer Berufsausübung bewusst die Unwahrheit zu verbreiten. Zum Gebot der Sachlichkeit und dem hieraus resultierenden Verbot der Lüge der AGH Bayern:
Zitat
"(24) Das festgestellte Verhalten der Betroffenen Dr. W … und S … stellt sich je als standesrechtliche Verletzung des § 43a Abs. 3 BRAO, und zwar innerhalb der anwaltlichen Berufsausübung gemäß § 113 Abs. 1 BRAO, dar. Danach darf sich der Rechtsanwalt nicht unsachlich verhalten. Als unsachlich erachtet das Gesetz unter anderem ein Verhalten, bei dem es sich um die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten handelt. Davon erfasst wird gerade auch das Verbot der Lüge (Eylmann in Henssler/Prütting BRAO 2. Auflage § 43a RN 107 m.w.N.), obwohl es hierbei um den materiellen Inhalt und nicht um die Form des anwaltlichen Handelns geht. Notwendig ist direkter Vorsatz (Eylmann § 43a RN 108). Verbreiten im Sinn von § 43a Abs. 3 Satz 2 BRAO ist Mitteilen, wobei die Übermittlung an eine Person reicht (Eylmann § 43a RN 109). Die Anstiftung eines anderen, die Unwahrheit zu sagen, unterfällt ebenso dem Tatbestand (Eylmann § 43a RN 109). Somit stellt sich auch das Verhalten des Rechtsanwalts Dr. W. als standeswidrig dar, wobei es für die disziplinare Behandlung ohne Bedeutung ist, ob Anstiftung oder Mittäterschaft vorliegt (Feuerich/Weyland BRAO 6. Auflage § 113 RN 106)."
Rz. 112
Ob das "bewusste sich Verschließen vor der Kenntnisnahme" bzw. das "Liegenlassen eines Empfangsbekenntnisses" als bloßes Schweigen einzuordnen ist oder aber ebenfalls unter die Anwendbarkeit des Lügen-Verbots einzuordnen ist, ist umstritten.
Rz. 113
Eine willkürliche Vor- oder Rückdatierung des Empfangsbekenntnisses ist daher auch nicht zulässig.
Rz. 114
Beispiel
Rechtsanwältin X erhält ein Urteil mit eEB-Anforderung durch das Gericht in ihr beA am 18.2.2022 übermittelt. Der Mitarbeiter notiert vorsichtshalber die hierfür erforderliche Berufungsfrist ab 18.2.2022 mit Fristablauf zum 18.3.2022, die Berufungsbegründungsfrist sowie Tatbestandsberichtigungsfrist und die entsprechenden Vorfristen. Rechtsanwältin X kommt erst am 21.2.2022 wieder in die Kanzlei, sie trägt korrekterweise das Datum vom 21.2.2022, dem Tag ihrer Kenntnisnahme im eEB, ein und sendet dieses selbst zurück.
Zustellungsdatum |
21.2.2022 |
Fristablauf Berufung |
21.3.2022 |
Zum Umgang in der Praxis mit dieser Situation siehe nachfolgende Ausführungen ab Rdn 115.
Rz. 115
Vor Rücksendung des eEB sind die Fristen im Kalender ordnungsgemäß einzutragen, d.h. eine zuvor falsch eingetragene Frist ist "umzutragen". Der richtige Fristablauf für die Berufungsfrist wird für den 21.3.2022 eingetragen; die falsch eingetragene Frist am 18.3.2022 wird gestrichen.
Rz. 116
Frage 1:
Darf – zur Vermeidung des Aufwands – die falsche Frist im Kalender stehenbleiben?
Antwort:
Nein!
Erläuterung: Kommt es zu einem Fristversäumnis, ist bei "nachlässiger" Fristbehandlung wohl kaum mit einer Wiedereinsetzung zu rechnen. Da im Wiedereinsetzungsantrag alle Gründe, die für eine Wiedereinsetzung sprechen, vorgetragen werden müssen und ein Nachschieben von Gründen nicht zulässig ist, somit aber auch der Ablauf des Fristennotierens und Fristenstreichens in der Kanzlei geschildert werden muss, würde diese nachlässige Fristenbehandlung im Wiedereinsetzungsverfahren aufkommen. Spätestens wenn diese nachlässige Fristenbehandlung (mit-)ursächlich für das Fristversäumnis war, scheidet eine Wiedereinsetzung definitiv aus.
Rz. 117
Frage 2:
Darf – zur Vermeidung des Aufwands – im eEB das Eingangsdatum 18.2.2022 eingetragen werden, obwohl die Rechtsanwältin an diesem Tag das Urteil nicht zur Kenntnis genommen hat, sondern erst am 21.2.2022?
Antwort:
Nein!
Dies wäre schlicht und ergreifend eine Lüge. Genauso könnte man also fragen, ob man das Gericht im Hinblick auf Fristen anlügen darf. Das darf man nicht, siehe Rdn 112 oben.
Rz. 118
Bei einem falsch angegebenen Datum wäre unseres Erachtens ggf. sogar zu prüfen, ob hier nicht sogar der Verdacht einer Strafbarkeit wegen der "Fälschung beweiserheblicher Daten" i.S.d. § 269 StGB oder eine Täuschung im Rechtsverkehr bei der Datenverarbeitung i.S.d. § 270 StGB bzw. eine mittelbare Falschbeurkundung gem. § 271 StGB vorliegt. Wir sind keine Strafrechtler und bitten daher unsere Leser, im Zweifel selbst zu prüfen, ob sie eine Erfüllung dieser Straftatbestände sehen. Letztendlich spricht der BGH den Empfangsbekenntnissen in ständiger Rechtsprechung den Beweiswert einer Urkunde zu, siehe Rdn 121 unten, und von dem im EB oder eEB abgegebenen Datum hängt der Fristenlauf und damit möglicherweise das Obsiegen b...