Sabine Jungbauer, Dipl.-Ing. Werner Jungbauer
Rz. 179
Es stellt sich die Frage, wie es rechtlich einzuordnen ist, wenn der Zustellungsversuch in das "falsche" Postfach erfolgt.
Beispiel
RA K ist sowohl als Syndikusrechtsanwalt als auch als Rechtsanwalt zugelassen und verfügt daher über zwei beA. In einer Angelegenheit, die er als niedergelassener Rechtsanwalt betreut, erhält er einen Zustellungsversuch mit eEB-Anforderung in sein beA, das ihm in seiner Funktion als Syndikusrechtsanwalt zugeordnet ist.
Frage:
Handelt es sich hierbei um einen wirksamen Zustellungsversuch oder kann Rechtsanwalt K die Abgabe eines eEB in seinem beA ablehnen, weil es das "falsche" beA war?
Rz. 180
Über genau einen solchen Fall hatte das LSG Hamburg zu entscheiden. Im vorliegenden Fall verfügte der Prozessbevollmächtigte des Klägers über zwei besondere elektronische Anwaltspostfächer, die nach dem Bundesweiten Amtlichen Anwaltsverzeichnis wie folgt gekennzeichnet sind:
1. Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt)
V. AG Brieffach _________________________
Herr Rechtsanwalt
2. Rechtsanwalt
V. AG
Rz. 181
Die Zustellung eines Gerichtsbescheids erfolgte in das Syndikus-beA, nicht aber – was nach Ansicht des betroffenen Anwalts richtig gewesen wäre – am 23.1.2020 in sein beA als niedergelassener Anwalt. Nach Aufforderung zur Abgabe des eEB reagierte der Anwalt mit entsprechendem Vortrag, dass er die Zustellung nicht für wirksam erachte und daher die Abgabe des eEB verweigere. Der Gerichtsbescheid wurde nochmals per Post zugestellt. Die am 30.3.2020 eingelegte Berufung gegen den Gerichtsbescheid wurde als verspätet verworfen, da das LSG Hamburg die Zustellung in das Syndikus-beA für rechtens ansah und der Anwalt vom zugestellten Dokument auch Kenntnis erlangt hatte. Nach Ansicht des LSG Hamburg habe die Frist am 24.1.2020 zu laufen begonnen.
Rz. 182
Das LSG stellte in seiner Entscheidung ganz pragmatisch auf den Sinn und Zweck von Zustellungen ab, was nach unserer Auffassung vertretbar ist. Die angenommene rückwirkende Heilung auf den Tag des Eingangs, siehe Rdn 208 unten, wird von den Verfassern jedoch nicht geteilt. So entschied das LSG Hamburg:
Rz. 183
Zitat
"1. Verfügt ein Rechtsanwalt über mehrere besondere Anwaltspostfächer (beA), so kann unabhängig der Zuordnung des jeweiligen beA zu bestimmten Tätigkeitsfeldern des Rechtsanwalts an jedes aktive beA wirksam zugestellt werden (Rn 22)."
2. Hat ein Rechtsanwalt einer mit (elektronischem) Empfangsbekenntnis veranlassten gerichtlichen Zustellung nicht unverzüglich widersprochen und auch das verlangte elektronische Empfangsbekenntnis nicht an das Gericht zurückgesandt, so fehlt es an einer ordnungsgemäßen Zustellung gem. § 63 SGG, § 174 ZPO. In diesem Fall tritt wegen der direkten Übermittlung an das beA die Heilung des Zustellungsmangels und damit die Zustellungswirkung gem. § 189 ZPO rückwirkend unmittelbar nach dem Zeitpunkt ein, in dem das zuzustellende Schriftstück abgesandt worden ist, sofern keine technischen Probleme in der elektronischen Kommunikation ersichtlich sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Rechtsanwalt das zuzustellende Dokument öffnet und darauf reagiert (Rn 23 – 25).“
Rz. 184
Die Zustellungsregelungen der ZPO gelten gem. § 63 Abs. 2 S. 1 SGG auch in sozialgerichtlichen Verfahren. Da gem. § 166 Abs. 1 ZPO an eine "Person" und nicht an ein "Postfach" zugestellt wird, kommt es letztendlich darauf an, dass bzw. ob das zuzustellende Dokument den Postfachinhaber erreicht hat. Diese Auffassung ist grundsätzlich richtig, weshalb hier auch unseres Erachtens von einer wirksamen Zustellung ausgegangen werden kann. Gleichwohl sollten Gerichte jedoch nicht "bedenkenlos" in "irgendwelche" Postfächer zustellen, denn neben dem Zustellungsrecht gibt es auch das BDSG und die DSGVO zu beachten und Gerichte als Justizbehörden sind nach diesseitiger Auffassung auch gehalten, die Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht von Anwälten nicht unnötig zu "torpedieren". Denn durch wahllose Übermittlung in "irgendein" Postfach kann es eben hier auch zu Problemen mit dem Datenschutz oder der Verschwiegenheit kommen und für den Anwalt weitere Probleme eröffnen. Aus diesem Grund halten wir es auch für geboten, Anwälte bei "Fehlübermittlungen" dringend darauf hinweisen, dass in dieser betroffenen Sache künftig ein bestimmtes Postfach zwingend zu nutzen ist. Wird eine solche Bitte – was aus der Seminartätigkeit den Verfassern bereits bekannt geworden ist – durch die Geschäftsstelle eines Gerichts mehrfach ignoriert, bleiben noch ein entsprechender Hinweis an den Direktor oder Präsidenten des Gerichts und der Vorbehalt der Geltendmachung sämtlicher Rechte bei weiterem künftigem Missachten. Zur Diskussion über die Frage, ob die elektronische Einreichpflicht status- oder rollenbezogen besteht, siehe auch ausführlich in § 2 Rdn 43 in diesem Werk.
Rz. 185
Richtig hat das ArbG Stuttgart entschieden, dass im umgekehrten Fall die Einreichung über ein Syndikus-beA wirksam ist, auch wenn zur Prozessvertretung nur der Verband und nicht speziell der hier adressi...