Rz. 142
Ausweislich des Wortlauts des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG gilt die Zuwendung der Abfindung stets als vom Erblasser zugewandt. Dies ist entscheidend für die Ermittlung der Steuerklasse und den Freibetrag für den Zuwendungsempfänger, also den Pflichtteilsberechtigten.
Beispiel
Vater V hat sich nach dem Vorversterben seiner Ehefrau E mit seinem Sohn S überworfen und diesen enterbt. Zum Alleinerben hat er seine Lebensgefährtin L, die er nie geheiratet hat, eingesetzt. Nach dem Ableben des V und der Annahme der Alleinerbschaft durch L verlangt S seinen Pflichtteil. L hat jedoch kein ungebundenes Vermögen, aus dem sie den Pflichtteilsanspruch bezahlen könnte. Zu diesem Zweck soll dem S ein Wertpapierdepot übertragen werden.
Rz. 143
Auch wenn im Beispiel das Wertpapierdepot aufgrund eines freien Entschlusses der L dem S übereignet wird und zwischen L und S keinerlei verwandtschaftliche Beziehungen bestehen, ist der Zuwendung von L an S dennoch nicht die Steuerklasse 3 zugrunde zu legen. Maßgeblich ist vielmehr das Verhältnis des Erblassers V zu seinem Sohn S. Der Erwerb ist daher nach Steuerklasse 1 zu besteuern. Dem Sohn gebührt der Freibetrag i.H.v. 400.000 EUR gem. § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG.
Rz. 144
Die vorstehenden Grundsätze gelten selbstverständlich nur, soweit die Abfindung im Wert dem Pflichtteilsanspruch entspricht. Geht der Wert der Abfindung darüber hinaus, handelt es sich um eine weitere selbstständige Schenkung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG vom Pflichtteilsbelasteten an den Pflichtteilsberechtigten.
Rz. 145
§ 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG äußert sich nicht näher dazu, von wem die Abfindung gewährt werden muss. Das Gesetz ist insoweit offen. Zutreffend entspricht es der h.M., § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG könne auch auf solche Abfindungen angewandt werden, die dem Pflichtteilsberechtigten nicht vom Pflichtteilsbelasteten, sondern von Dritten zugewandt werden.
Abwandlung
Wie ist das vorstehende Beispiel zu beurteilen, wenn der Freund F der L dieser behilflich sein will und ihr unentgeltlich anbietet, dem Pflichtteilsberechtigten ein eigenes Wertpapierdepot zur Abfindung für den Pflichtteilsverzicht zu übereignen?
Rz. 146
Auch diese Zuwendung von dem Dritten (F) ist beim Pflichtteilsberechtigten nach der Steuerklasse und mit den Freibeträgen aus dem Verhältnis zum Erblasser zu versteuern. Dies gilt aufgrund der ausdrücklichen Anordnung in § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG, wonach entsprechende Abfindungen als vom Erblasser zugewandt gelten. Die weiteren Folgen des vorstehenden Beispiels beim Abfindenden und beim Dritten werden im folgenden Abschnitt erläutert.