Rz. 169
Die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG gilt unabhängig davon, ob die Abfindung vom Erblasser selbst oder von einem Dritten gewährt wird. Fraglich ist jedoch, ob für die Freibeträge und die Steuerklasse wie bei § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG ebenfalls stets auf das Verhältnis des Pflichtteilsberechtigten zum Erblasser abzustellen ist.
Beispiel
Vater V ist Inhaber umfangreichen Immobiliengrundbesitzes. Er hat zwei Söhne, S 1 und S 2. Innerhalb der Familie ist man sich darüber einig, dass zur Fortführung des Immobilienengagements der Sohn S 2 am besten geeignet sei. Um eine vorweggenommene Erbfolge sowie die endgültige Erbfolge vorzubereiten, soll daher S 1 zu Lebzeiten des V auf sein Pflichtteilsrecht am Nachlass des Vaters V verzichten. Dafür soll der Sohn S 2 diesem ein ihm bereits gehörendes wertvolles Grundstück übereignen, das er später als Familienwohnheim nutzen möchte. Darüber hinaus soll er Bargeld von seinem Bruder S 2 erhalten.
Rz. 170
Nach ursprünglicher Auffassung des BFH sowie der h.M. sollte der Besteuerung der Abfindung das Verhältnis zum Verzichtsempfänger, also zum potenziellen Erblasser, auch dann zugrunde zu legen sein, wenn die Abfindung von einem Dritten geleistet wird. In der Entscheidung vom 25.1.2001 begründete der BFH dies in einem vergleichbaren Fall wie folgt: "Der Verzicht auf Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche gegenüber einem anderen gesetzlichen Erben kann hinsichtlich der Steuerklasse vor Eintritt des Erbfalls nicht anders behandelt werden als nach Eintritt des Erbfalls. Beide Male geht es um die wertmäßige Teilhabe des Verzichtenden am Vermögen des Erblassers. Nach Eintritt des Erbfalls aber ist der Verzicht auf die noch nicht geltend gemachten Pflichtteilsansprüche gegen Abfindung gem. § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG nach der Steuerklasse zu bestimmen, die im Verhältnis zum Erblasser gilt. (…) Dass im Streitfall, anders als in den Fällen des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG, der Erbfall noch nicht eingetreten ist, macht keinen entscheidenden Unterschied." Dies gilt freilich nur, soweit der Wert der Abfindung in einem angemessenen Verhältnis zu dem potenziellen Wert des Pflichtteils oder Erbrechts steht. Im vorstehenden Beispiel wäre daher die Zuwendung des Bruders S2 an seinen Bruder S1 als vom Vater stammend zu versteuern und zu erfassen. Es würden der Freibetrag i.H.v. 400.000 EUR und die Steuerklasse I zur Anwendung kommen.
Rz. 171
An dieser Rechtsprechung hält der BFH jedoch nicht mehr fest. Mit Urteil vom 10.5.2017 statuiert er, dass es sehr wohl einen Unterschied macht, wann der Verzicht vereinbart wurde. Wurde er nach dem Tod des Erblassers vereinbart, bleibt es bei dem Verhältnis Vater – Sohn. Wurde der Pflichtteilsverzicht aber – wie im Beispiel – zu Lebzeiten des Erblassers zwischen den Geschwistern vereinbart, ist daher die Zuwendung des Bruders S 2 an seinen Bruder S 1 im Verhältnis der Geschwister untereinander zu versteuern und zu erfassen. Es gilt mithin nur ein Freibetrag von 20.000 EUR und die Steuerklasse II.
Rz. 172
Praxishinweis
Der Pflichtteilsverzicht gegen Abfindung durch einen Geschwisterteil ist damit aktuell kein Gestaltungsmittel mehr, um steuerbegünstigt unentgeltliche Vermögensverschiebungen zwischen Geschwistern zu ermöglichen.
Rz. 173
Besteht die Zuwendung in Vermögensgegenständen, die einer besonderen erbschaftsteuerlichen Bewertung unterliegen, so ist auch in diesen Fällen der erbschaftsteuerlich maßgebliche Wert ausschlaggebend. Wird demnach Grundbesitz als Abfindung für einen Pflichtteilsverzicht gem. § 2346 BGB hingegeben, so sind die Grundbesitzwerte gem. §§ 176 ff. BewG einschlägig. Nach FG Baden-Württemberg gilt dies sogar, wenn analog einer mittelbaren Grundstücksschenkung als Abfindung ein Geldbetrag zum Zwecke des Erwerbs eines Grundstücks vereinbart wird.