Rz. 25
Zivilrechtlich entsteht der Pflichtteilsanspruch mit dem Erbfall, § 2317 BGB. Anderes gilt hingegen für das Erbschaftsteuerrecht. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entsteht die Erbschaftsteuer für den geltend gemachten Pflichtteil erst in dem Moment, in dem der Pflichtteilsanspruch vom Berechtigten geltend gemacht wird, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG. Entscheidend für den Tatbestand des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG ist mithin die Geltendmachung. Unter diesem Begriff wird das ernstliche Verlangen des Berechtigten auf Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs verstanden. Der Berechtigte muss schriftlich, mündlich oder sonst durch schlüssiges Verhalten eindeutig zu erkennen gegeben haben, dass er auf der Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs besteht.
Rz. 26
Praxishinweis
Der Pflichtteil sollte nicht vorschnell geltend gemacht werden, da eine Umkehr danach verschlossen ist. Ein Verzicht auf den bereits geltend gemachten Pflichtteil würde eine nochmalige Steuer auslösen, § 7 Abs. 1 ErbStG (Schenkung an den Erben). Nach der Geltendmachung kann die Steuerbelastung auch nicht mehr durch einen Verzicht gegen Abfindung nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG gemindert werden.
Rz. 27
Nach zutreffender Meinung kann das Finanzamt den Pflichtteilsberechtigten zwar auffordern, sich darüber zu erklären, ob er den Pflichtteil gegenüber den Erben geltend machen wolle oder geltend gemacht habe. Es kann den Steuerpflichtigen jedoch nicht zur Geltendmachung zwingen. Dem Pflichtteilsberechtigten steht es stets frei, ob er den Pflichtteil beanspruchen möchte und damit geltend macht oder ob er dies unterlässt. Dies gilt auch zivilrechtlich und ist insoweit durch § 852 ZPO abgesichert. Im bloßen Unterlassen der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs ist keine erbschaftsteuerliche Zuwendung zu sehen; dies regelt § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG ausdrücklich. Diese Regelung ist deklaratorisch.
Rz. 28
Zeitlich kann der Pflichtteil frühestens nach dem Todeseintritt des Erblassers geltend gemacht werden. Vorher besteht nur das abstrakte Pflichtteilsrecht. Das ist aber nicht Steuergegenstand des § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG. Erklärungen, Ankündigungen und Drohungen des Pflichtteilsberechtigten, die vor dem Ableben des Erblassers abgegeben wurden, sind daher in dem hier maßgeblichen Zusammenhang irrelevant. Dies folgt auch daraus, dass die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs gegenüber dem Schuldner, also dem Pflichtteilsbelasteten, zu erfolgen hat. Dieser steht jedoch frühestens mit dem Todeseintritt fest.
Rz. 29
Praxishinweis
Die Möglichkeit, den genauen Zeitpunkt der Steuerentstehung durch Geltendmachung zu bestimmen, ist ein sehr wertvolles Gestaltungsmittel. Bekanntlich können die Freibeträge alle zehn Jahre ausgeschöpft werden. Hat der Sohn im VZ 01 von seinem Vater 400.000 EUR bereits erhalten und verstirbt der Vater im VZ 09, so kann der Sohn bis zum Ablauf der Zehn-Jahres-Frist des § 14 ErbStG warten und dann erst den Pflichtteil geltend machen – vollständig steuerfrei, zumindest sofern der Pflichtteilsanspruch den Betrag des wieder vollständig zur Verfügung stehenden Freibetrags in Höhe von 400.000 EUR nicht übersteigt.