Rz. 55
Die Verjährung des Pflichtteilsanspruchs (§ 2332 BGB) steht der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs nicht entgegen. In diesem Fall genügt das bloße Verlangen der Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs jedoch nicht. Der Erbe hat nämlich die Möglichkeit, sich entweder auf die Einrede der Verjährung zu berufen oder den Anspruch trotz der Möglichkeit der Zahlungsverweigerung zu erfüllen. Aufgrund dieser Unsicherheit ist § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG dahingehend zu korrigieren, dass eine Geltendmachung erst vorliegt, wenn der Erbe endgültig auf die Verjährungseinrede verzichtet oder aber die Verjährungseinrede nicht erhebt und die Leistung erbringt. Dies kann je nach Einzelfall beispielsweise auch in der Stundung des Pflichtteilsanspruchs zu sehen sein. Ebenso kann der Erbe die Pflichtteilslast in diesem Fall erst nach dem Verzicht auf die Einrede der Verjährung oder nach tatsächlicher Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs als Nachlassverbindlichkeit berücksichtigen.
Rz. 56
Beim Berliner Testament ist die Geltendmachung des verjährten Pflichtteilsanspruchs lediglich in folgendem Ausnahmefall nach wohl h.M. ausgeschlossen:
Beispiel
Die Eltern E 1 und E 2 haben ein gemeinschaftliches Testament in Form des Berliner Testaments (§ 2269 BGB) verfasst. Zunächst verstirbt E 1 und wird von E 2 allein beerbt. Bei diesem akkumuliert sich das gesamte Familienvermögen und wird beim Ableben von E 2 an das einzige gemeinschaftliche Kind K vererbt. Erst nach dem Ableben von E 2 stellt K fest, dass es nun eine beträchtliche Erbschaftsteuerlast zu tragen hat, da die Freibeträge nach dem Ableben des Erstversterbenden E 1 nicht genutzt wurden. Zu diesem Zweck möchte es nunmehr gegenüber sich selbst als Alleinerben den Pflichtteilsanspruch nach E 1 geltend machen, der ihm gegenüber dem länger lebenden Ehegatten E 2 zugestanden hat und der nun auf ihn mit übergegangen sei.
Rz. 57
In diesem Fall wird es nach wohl überwiegender, wenn auch umstrittener Meinung nicht mehr als zulässig anerkannt, den verjährten Pflichtteilsanspruch nach dem Todesfall von E 1 geltend zu machen. Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk stützen sich für die entgegenstehende Meinung vor allem auf die Regelung des § 10 Abs. 3 ErbStG, wonach eine durch den Erbfall eintretende Vereinigung von Forderung und Schuld erbschaftsteuerlich unbeachtlich sei. Dem ist im Ausgangspunkt zwar zuzustimmen. Dennoch kann der Meinung von Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk im Ergebnis nicht gefolgt werden: Nach Ansicht des BFH ist für den Abzug einer Verbindlichkeit stets Voraussetzung, dass die Verbindlichkeit zu einer wirtschaftlichen Belastung führt. Aus diesem Grunde ist trotz der Regelung des § 10 Abs. 3 ErbStG der Abzug der Verbindlichkeit beim Nachlass des E 2 und damit auch beim Erwerb des K ausgeschlossen. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, wie und gegen wen eine "Geltendmachung" i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG in dem vorstehenden Beispiel allein technisch erfolgen soll, da ja gar kein Gegenüber mehr vorhanden ist. Bei mehreren Erben gilt das Vorstehende hinsichtlich der Erbquote des Pflichtteilsberechtigten.
Rz. 58
Die aufgezeigte, restriktive Ansicht hat durch den BFH in seiner Entscheidung vom 27.6.2007 insoweit Bestätigung gefunden, als der BFH den Abzug einer Pflichtteilsabfindung nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG i.V.m. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG für den Fall abgelehnt hat, dass die Abfindung bei einem Berliner Testament erst nach dem Ableben des länger lebenden Ehegatten fällig werden sollte. Gegen diese Auffassung lässt sich zwar einwenden, dass gerade im Bereich des Pflichtteilsrechts die tatsächliche Beschwer und die tatsächliche Durchsetzung eines Anspruchs gerade nicht Voraussetzung für erbschaftsteuerliche Auswirkungen sind. Ferner ist für den hier behandelten Sachverhalt zu beachten, dass es stets einer Geltendmachung bedarf und diese nach dem Ableben des länger Lebenden nicht mehr möglich ist. Die Annahme einer Geltendmachung des Pflichtteils gegen sich selbst ist mit dem Gesetzeszweck m.E. nicht mehr vereinbar. Zwischenzeitlich sind zu dieser Thematik zwei gegenläufige finanzgerichtliche Entscheidungen ergangen. Während das Hessische Finanzgericht die Geltendmachung eines verjährten Pflichtteilsanspruchs gegen sich selbst ablehnt, bejaht das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht den Abzug als Nachlassverbindlichkeit. Mit seinen Urteilen vom 5.2.2020 hat sich der BFH für den Fall der Verjährung der Pflichtteilsforderung gegen die Abzugsfähigkeit ausgesprochen. In dieser Fallkonstellation kommt eine gezielte Erbschaftsteuerreduzierung in Zukunft daher nicht mehr in Betracht.
Rz. 59
Praxishinweis
Die vorstehenden Verjährungsprobleme lassen sich nicht dadurch vermeiden, dass der Pflichtteilsanspruch bereits zu Lebzeiten des Erblassers durch partiellen Pflichtteilsverzicht bis zum Tode des länger lebenden Ehegatten gestundet wird. Eine solche Gestaltung, die von vornherein darauf angelegt ist, dem länger lebenden Ehegatte...