Rz. 44
Die überwiegende Meinung geht davon aus, in der Stundung eines Pflichtteilsanspruchs liege stets eine Geltendmachung des gesamten Pflichtteilsanspruchs. Erbschaftsteuerlich entsteht damit grundsätzlich sogleich die Steuerpflicht in voller Höhe. Der Stundung gehe denklogisch die Einigung zwischen Erbe und Pflichtteilsberechtigtem voraus, dass der Pflichtteilsanspruch später zu erfüllen sei. Dem kann so nicht uneingeschränkt zugestimmt werden. Vielmehr ist zu differenzieren: Bringt der Pflichtteilsberechtigte zum Ausdruck, er wolle den Pflichtteil in jedem Fall beanspruchen und sei lediglich hinsichtlich des genauen Zeitpunkts verhandlungsbereit, so wird damit der Steuertatbestand des § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG erfüllt. Insoweit ist der vorstehend zitierten h.M. zuzustimmen. Anders sind jedoch diejenigen Fälle zu beurteilen, in denen der Pflichtteilsberechtigte noch gar keine Entscheidung getroffen hat, dies derzeit auch nicht möchte, sondern sich lediglich die spätere Entscheidungsmöglichkeit offenhalten möchte, indem er die Verjährung des Anspruchs verhindert. Bei einem solchen Sachverhalt kann sehr wohl eine Stundungsvereinbarung getroffen werden, ohne dass hierin eine Geltendmachung i.S.d. Gesetzes erfolgt.
Rz. 45
Offen war die Rechtslage in denjenigen Fällen, in denen gezielt der Pflichtteil geltend gemacht wird, gleichzeitig jedoch der Pflichtteil bis zum Ableben des länger lebenden Elternteils bei einem Berliner Testament gestundet wird. Hierzu ist in den vergangenen Jahren eine in sich widersprüchliche Rechtsprechung des BFH ergangen. Einerseits hat der BFH in seiner Entscheidung vom 19.7.2006 ausdrücklich festgestellt, dass es für die Besteuerung des geltend gemachten Pflichtteils nicht auf die Erfüllung des Pflichtteils ankomme. Bereits bei Geltendmachung des Pflichtteils entstehe die Steuer beim Pflichtteilsberechtigten; verzichte dieser später auf die Durchsetzung und erlasse den Anspruch, so sei dies wiederum eine freigebige Zuwendung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Ohne irgendeinen Geldfluss geht der BFH also von einem doppelten Schenkungsteuerfall aus, was korrespondierend zu einem entsprechenden Abzugsbetrag beim Erben nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG führen muss. Nach dieser Entscheidung scheint der BFH im Bereich des Pflichtteilsrechts keine konkrete Beschwer oder Belastung des jeweiligen Erben als Voraussetzung eines Abzugstatbestandes anzusehen.
Rz. 46
Anders ist dies hingegen in der Entscheidung des BFH vom 27.6.2007. Bei Verzicht auf den Pflichtteil gegen eine Abfindung, die bis zum Tod des länger lebenden Elternteils gestundet wird, verneint der BFH eine konkrete wirtschaftliche Belastung des länger lebenden Ehegatten und damit sowohl den Abzug nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG hinsichtlich des Abfindungsbetrages beim länger lebenden Ehegatten als auch die Steuerpflicht nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG beim Pflichtteilsberechtigten. Eine wirtschaftliche Belastung fehlt immer dann, wenn der Erblasser (Schuldner) davon ausgehen konnte, die Verpflichtung – wie bei einer Stundung bis zu seinem Tod – nicht selbst erfüllen zu müssen.
Rz. 47
Der Gesetzgeber hat sich im Bereich des Pflichtteilsrechts in § 3 Abs. 1 Nr. 1, in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b und in § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG stets gegen das konkrete Belastungsprinzip entschieden, als er nicht auf den Abfluss von Geldmitteln, sondern auf die bloße Geltendmachung von Ansprüchen abgestellt hat. Insoweit ist m.E. nur die Entscheidung des BFH vom 19.7.2006 überzeugend. Daher kann m.E. eine Geltendmachung des Pflichtteils auch dann angenommen werden und es sind alle daraus folgenden steuerlichen Konsequenzen zu ziehen, auch wenn gleichzeitig mit der ernsthaften Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs eine Stundung bis zum Ableben des länger lebenden Ehegatten vereinbart wird. Ein Abzug nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG ist zu gewähren. Dagegen hat sich jedoch der BFH zumindest für den Fall ausgesprochen, dass der Anspruch vor seinem Entstehen bis zum Tod des Erben zinslos gestundet wird, die Frage im Übrigen aber offengelassen.