Rz. 48
Zweifelhaft sind die Folgen der zinslosen Stundung des Pflichtteilsanspruchs. Im Grundsatz ist von der Rechtsprechung des BFH anerkannt und überzeugend, dass der Verzicht auf eine angemessene Verzinsung eines Anspruchs eine freigebige Zuwendung gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist, die eine entsprechende Schenkungsbesteuerung auslösen kann. Dieser Sichtweise liegen zwei erbschaftsteuerlich relevante Vorgänge zugrunde. Zunächst würde der Pflichtteil im Rahmen der Stundung in voller Höhe geltend gemacht. Dies würde die volle und sofortige Besteuerung des Pflichtteils in seiner nominalen Höhe beim Pflichtteilsberechtigten zur Folge haben. In einem zweiten Schritt würde der Pflichtteilsberechtigte dem Erben gegenüber die Zinsvorteile unentgeltlich zuwenden.
Rz. 49
Diese Sichtweise liegt jedoch fern der Realität und dem, was die Beteiligten wollen. Einer derartigen Pflichtteilsstundung liegt i.d.R. eine vergleichsähnliche Vereinbarung zugrunde, bei der kein Beteiligter dem anderen etwas unentgeltlich zuwenden will. Soweit der Pflichtteilsberechtigte aufgrund der zinslosen Stundung tatsächlich einen niedrigeren Wert vom Erben erhält, ist hierin keine Schenkung des Pflichtteilsberechtigten an den Erben zu sehen. Zutreffend ist vielmehr der Hinweis von Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, wonach in diesem Fall der Pflichtteilsanspruch durch den Pflichtteilsberechtigten lediglich teilweise geltend gemacht wird, nämlich in der um den Abzinsungsfaktor verminderten Höhe. Dies ist der Erbschaftsbesteuerung im Rahmen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG zugrunde zu legen. Etwas anderes kann lediglich dann gelten, wenn die Vereinbarung ausdrücklich auf eine zinslose Stundung verweist.
Beispiel
Im Rahmen eines Erbfalls in der Familie sind die Geltendmachung und die Höhe des Pflichtteils strittig. Der Pflichtteilsberechtigte erklärt eindeutig, den Pflichtteil später verlangen zu wollen. Im Rahmen der Einigung zwischen Erben und Pflichtteilsberechtigtem wird eine Vereinbarung erzielt, wonach der Pflichtteil einen Betrag von 100.000 EUR ausmache, dieser jedoch erst beim Ableben des Erben zur Zahlung fällig sei. Der Pflichtteilsanspruch ist nicht zu verzinsen. Bei Ermittlung des Barwertes ist durch Abzinsung des Betrages nach der durchschnittlich zu erwartenden Lebensdauer des Erben ein Wert von 90.000 EUR zu ermitteln.
Rz. 50
Der Pflichtteilsberechtigte hat im Beispiel im Rahmen der Stundungsvereinbarung den Pflichtteil lediglich i.H.v. 90.000 EUR geltend gemacht. Denn nach der Einigung soll ihm nach derzeitigem Stand der Dinge ein abgezinster Wert von nur 90.000 EUR zugewandt werden. Bei der Einigung hat er von vornherein auf die Geltendmachung des weitergehenden Pflichtteilsanspruchs durch die zinslose Stundung verzichtet. Eine Schenkung ist hierin gem. § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG nicht zu sehen. Der BFH hat in diesem Zusammenhang klargestellt, dass die zinslose Stundung des Pflichtteilsanspruchs zu Lebzeiten des Erblassers – und damit vor der Geltendmachung des Pflichtteils – keine freigebige Zuwendung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG des Pflichtteilsberechtigten an den Erben darstellt. Offengelassen hat er diese Frage jedoch explizit für die zinslose Stundung eines bereits geltend gemachten Pflichtteils. Jedoch können Vereinbarungen zwischen dem Erben und dem potentiellen Pflichtteilsberechtigten zu Lebzeiten des Erblassers die Gefahr bergen, dass die Zuwendung im Verhältnis der Geschwister untereinander versteuert wird und nicht im Verhältnis zum Erblasser.
Rz. 51
Schließlich soll hier nicht verschwiegen werden, dass mit der "zinslosen" Pflichtteilsstundung ein weiteres steuerliches Problem entsteht – ein einkommensteuerliches. Die langfristige Stundung wird einkommensteuerlich nicht als zinslos anerkannt, sondern in einen abgezinsten Basisbetrag und laufende Zinsen aufgeteilt, die vom Pflichtteilsberechtigten bei Zufluss als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu versteuern sind. Der Zahlungsverpflichtete, regelmäßig der Erbe, kann sie dagegen einkommensteuerlich nicht absetzen. Der Zinssatz wird nach Meinung des BFH mit 5,5 % angesetzt. Um diese Folgen zu mildern, kann es sinnvoll sein, ausdrücklich eine Verzinsung zu vereinbaren, jedoch mit einem Zinssatz von 2 % bis 3 %. Progressionsvorteile sind außerhalb des Anwendungsbereichs der Abgeltungsteuer gem. § 32d EStG ferner zu erreichen, indem die Zinsen jährlich zu zahlen sind. Auf diese Weise dürften sich die einkommensteuerlichen Folgen zumindest mildern lassen. Im Zusammenhang mit der zinslosen Stundung einer Zugewinnausgleichsforderung hat der BFH jedoch eine einkommensteuerrechtliche Erfassung eines Zinsanteils als ernstlich zweifelhaft eingestuft, da zugleich die Voraussetzungen einer schenkungsteuerrechtlichen freigebigen Zuwendung erfüllt waren. In einem solchen Fall habe die Ertragsteuerbelastung zurückzutreten, da die unentgeltliche Zuwendung im Vordergrund stehe und damit eine Einkünfteerzielungsabsicht am ...