Rz. 39
Nach Meinung des RFH liegt eine Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs in voller Höhe auch dann vor, wenn der Pflichtteilsberechtigte eine Teilzahlung begehrt und sich die Zahlung eines zivilrechtlich zusätzlich geschuldeten Restbetrages vorbehält. Nach Meinung des RFH sei von der Geltendmachung des gesamten Pflichtteilsanspruchs auszugehen. Dem ist nicht zu folgen. Fordert ein Pflichtteilsberechtigter zunächst nur einen Teil des Pflichtteils, so ist der Pflichtteilsanspruch auch nur in dieser Höhe geltend gemacht. Der Sachverhalt ist aufzuteilen. Der Fall bewegt sich im Spannungsverhältnis zwischen § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG und § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG. Aus § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG ist zu entnehmen, dass der bloße Verzicht auf die Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs keine Schenkung auslöst und insgesamt erbschaftsteuerrechtlich irrelevant ist. Wird der Pflichtteilsanspruch daher nur teilweise geltend gemacht, so kann hinsichtlich des nicht geltend gemachten Teils keine Erbschaftsteuer anfallen. Dabei ist entgegen der Meinung des vorstehend zitierten Urteils des RFH der bloße Vorbehalt, ggf. später noch eine Restzahlung auf den Pflichtteil zu verlangen, nicht als Geltendmachung anzusehen. Hierin ist vielmehr der ausdrückliche Vorbehalt zu sehen, auf weitergehende Pflichtteilsansprüche noch nicht zu verzichten. Eine Geltendmachung, also der Entschluss, diese Restansprüche tatsächlich noch durchzusetzen, ist darin jedoch nicht zu erkennen. Dies stimmt auch mit der jüngeren Rechtsprechung des BFH überein. Danach ist bei Einfordern einer Teilleistung auf den Pflichtteil lediglich die eingeforderte Teilleistung geltend gemacht und damit der Besteuerung zugrunde zu legen. Dies gilt in jedem Fall, wenn der steuerpflichtige Pflichtteilsberechtigte gleichzeitig erklärt, dass er weitere Leistungen auf den Pflichtteilsanspruch nicht verlangen wolle. Entgegen der vom RFH, Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk und Seer/Krumm vertretenen Meinung kann nichts anderes gelten, wenn der Steuerpflichtige sich ausdrücklich oder konkludent vorbehält, auch den Restbetrag noch zu verlangen. Dieser bloße Vorbehalt ist lediglich ein Nichtverzicht auf die Geltendmachung i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG. Er beinhaltet jedoch noch nicht den Entschluss, von dem Vorbehalt tatsächlich Gebrauch zu machen. Die entgegenstehende Meinung des RFH, von Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk und Seer/Krumm sowie des FG Hamburg ist daher abzulehnen.
Rz. 40
Praxishinweis
Um Auseinandersetzungen mit dem Finanzamt zu vermeiden, ist dem Mandanten zu empfehlen, von einer nur teilweisen Geltendmachung Abstand zu nehmen. Sollte dies nicht möglich sein, ist bei einer nur teilweisen Geltendmachung lediglich der bezifferte Teilbetrag anzugeben. Ein ausdrücklicher Vorbehalt weitergehender Ansprüche ist zivilrechtlich nicht erforderlich, sofern der geforderte Betrag als Teilbetrag des Pflichtteilsanspruchs gekennzeichnet ist. Aus den genannten steuerlichen Gründen sollte er unterbleiben.
Rz. 41
Problematisch sind die Fälle, in denen der Steuerpflichtige zunächst den Pflichtteil in voller Höhe verlangt, die genaue Höhe jedoch z.B. wegen Bewertungsfragen umstritten und unklar ist. Wird später im Rahmen eines Vergleichs eine Einigung über die tatsächliche Höhe des geschuldeten Pflichtteilsanspruchs erzielt, so ist die zivilrechtsgestaltende Vereinbarung auch der Höhe der Besteuerung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG zugrunde zu legen.