1. Einführung
Rz. 211
Die Erfüllung von Pflichtteilsansprüchen führt beim pflichtteilsbelasteten Erben nicht zu Anschaffungskosten. Der erbrechtliche Erwerb des Nachlasses durch den oder die Erben, die mit den Pflichtteilsansprüchen belastet sind, wird durch die Auszahlung der Pflichtteilsansprüche nicht zu einem (teil-)entgeltlichen Vertrag. Ein Veräußerungsgeschäft wird durch die bloße Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs daher nicht verwirklicht. Diese Frage war früher zwar heftig umstritten; sie ist seit Anfang der 1990er Jahre jedoch im vorstehenden Sinne abschließend geklärt.
Beispiel
A wird von B allein beerbt. Im Nachlass befindet sich u.a. ein Grundstück, das der Erblasser erst kurze Zeit vor seinem Tode zu 100.000 EUR gekauft hatte. Der enterbte Sohn des A verlangt seinen rechnerisch zutreffend ermittelten Pflichtteilsanspruch i.H.v. 120.000 EUR. B befürchtet, dass die Auszahlung dieses Betrages seinen erbrechtlichen Erwerb zu einem entgeltlichen (Erbe gegen Pflichtteilszahlung) umgestalten und so zu einer Einkommensteuerbelastung führen könne. Zu Recht?
Rz. 212
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Erfüllung eines Pflichtteilsanspruchs grundsätzlich – und auch im Beispiel – keinerlei ertragsteuerliche Auswirkungen hat. B führt folglich die Anschaffungskosten des Erblassers unverändert fort.
2. Hingabe von Wirtschaftsgütern als Leistung an Erfüllungs statt
Rz. 213
Anders kann dies hingegen sein, wenn Wirtschaftsgüter an Erfüllungs statt für Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsansprüche gem. § 364 BGB auf den Pflichtteilsberechtigten übertragen werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Hingabe der Wirtschaftsgüter aus dem Nachlass selbst erfolgt oder andere Wirtschaftsgüter betroffen sind. Handelt es sich bei der Hingabe von Grundbesitz oder Anteilen an Kapitalgesellschaften des Privatvermögens um ein entgeltliches Veräußerungsgeschäft i.S.d. § 17 EStG, § 20 Abs. 2 EStG, § 23 EStG oder § 21 Abs. 2 UmwStG, so kann bei Leistung entsprechender Wirtschaftsgüter an Erfüllungs statt für den Pflichtteilsanspruch oder als Abfindung für den Verzicht bzw. Erlass auf den Pflichtteilsanspruch ein einkommensteuerpflichtiger Gewinn realisiert werden. Die vorstehende Frage ist umstritten. Dazu haben die OFD Frankfurt a.M. sowie die OFD München Stellung genommen. Beide Verwaltungsverfügungen setzen sich zwar nicht unmittelbar mit dem Recht des Pflichtteilsanspruchs auseinander. Sie behandeln vielmehr die Hingabe eines Grundstücks an Erfüllungs statt für Zugewinnausgleichs- oder Unterhaltsansprüche im Rahmen von Scheidungs- und Trennungsvereinbarungen. Beide Sachverhalte sind im Grundsatz jedoch identisch zu beurteilen. Nach Meinung der OFD Frankfurt und der OFD München erfüllt die Übertragung eines Grundstücks an Erfüllungs statt i.S.d. § 364 BGB die Voraussetzungen einer Veräußerung i.S.d. § 23 EStG. Die Finanzverwaltung würdigt den entsprechenden Sachverhalt wie einen Verkauf mit nachfolgender Verrechnung des Kaufpreiszahlungsanspruchs mit dem Zugewinnausgleichsanspruch. Der BFH hat in seiner Entscheidung vom 16.12.2004 ebenso die Ansicht vertreten, dass die Hingabe eines Anteils am Betriebsvermögen gegen Abgeltung "von Pflichtteilsansprüchen ein Veräußerungsgeschäft i.S.d. § 16 EStG sei und zu einem laufenden steuerpflichtigen Gewinn führe".
Rz. 214
Demgegenüber ist nach zutreffender Meinung, die insbesondere auf Tiedtke zurückzuführen ist, in der Hingabe von Grundbesitz oder anderen Wirtschaftsgütern an Erfüllungs statt kein Veräußerungsgeschäft i.S.d. §§ 17, 20, 23 EStG, § 21 UmwStG zu sehen. Dies basiert insbesondere auf den dogmatischen Grundlagen des Pflichtteilsrechts und deren historischen Entstehungsgründen. Die entsprechenden Erwägungen wurden in anderem Zusammenhang früher auch vom BFH geteilt. Der BFH stützte sich teilweise darauf, dass bei Hingabe von Vermögensgegenständen des Nachlasses an den Pflichtteilsberechtigten zur Erfüllung von Pflichtteilsansprüchen die Rechtslage wirtschaftlich so sei, als wäre eine Miterbengemeinschaft entstanden, die anschließend real geteilt wer...