Rz. 230
Problematisch sind die einkommensteuerrechtlichen Folgen, wenn der Pflichtteil durch Kredit finanziert werden muss. Dann stellt sich die Frage nach der Abzugsfähigkeit der Schuldzinsen.
Beispiel
Erblasser E ist verstorben unter Hinterlassung zweier Söhne S 1 und S 2. Im Nachlass befindet sich ausschließlich ein Betrieb mit einem Wert von 1.000.000 EUR. Alleinerbe ist S 1. Als S 2 seinen Pflichtteilsanspruch von S 1 verlangt, droht das Unternehmen daran zu zerbrechen. Eine ausreichende Liquidität steht bei S 1 nicht zur Verfügung. Nach zähen Verhandlungen stellen sich zwei Lösungen als praktikabel dar: Entweder der Pflichtteilsanspruch wird mit Hilfe eines Darlehens finanziert oder S 2 ist bereit, dem S 1 den Pflichtteilsanspruch verzinslich zu stunden. Die Zinsen sollen in jedem Fall 5 % betragen. S 1 will wissen, ob er die Zinsen an Bank oder Bruder als Betriebsausgaben bei seinen gewerblichen Einkünften gem. § 15 EStG geltend machen kann.
Rz. 231
Lange Zeit ist der BFH der sog. Sekundärfolgenrechtsprechung gefolgt. Danach war der Erbe, der zur Zahlung von Pflichtteilsansprüchen verpflichtet war und aufgrund einer Stundungsvereinbarung oder Darlehensfinanzierung Schuldzinsen zu zahlen hatte, zum Abzug derartiger Schuldzinsen als Betriebsausgabe berechtigt, soweit der Pflichtteilsanspruch aus übergegangenem Betriebsvermögen herrührte. Das entsprechende Darlehen war dementsprechend als betriebliche Verbindlichkeit zu verbuchen. Im Beispiel wäre S 1 demnach berechtigt gewesen, sämtliche Schuldzinsen in beiden Sachverhaltsalternativen als Betriebsausgaben geltend zu machen.
Rz. 232
Diese sog. Sekundärfolgenrechtsprechung, der auch die Finanzverwaltung bisher gefolgt war, hat der BFH jedoch schon lange aufgegeben. Nach der neueren Meinung des BFH sind Schuldzinsen mangels Vorliegens einer Betriebsschuld nicht als Betriebsausgaben abziehbar. Der BFH stützt sich insoweit auf die Beschlüsse des Großen Senats zur vorweggenommenen Erbfolge, Erbfall und Erbauseinandersetzung. Dem haben sich die Finanzverwaltung sowie ein Teil der Rechtslehre ebenfalls angeschlossen, während ein starker Teil der Rechtslehre diese Rechtsprechungsänderung mit guten Gründen kritisiert und ablehnt.
Rz. 233
Der BFH begründet seinen Meinungswechsel wie folgt: Betriebsausgaben setzen nach der Definition in § 4 Abs. 4 EStG Aufwendungen voraus, die betrieblich veranlasst seien. Maßgebend sei insoweit der tatsächliche Verwendungszweck des Darlehens. Eine bloße Willensentscheidung zur Zuordnung als Betriebsschuld sei nicht ausreichend. Die Pflichtteilsschuld selbst sei jedoch nach allgemeiner Meinung eine private und nicht betrieblich veranlasste Schuld. Der Erbteil sei ausschließlich der Privatsphäre zuzuordnen. Sei jedoch der Erwerb des Erbteils selbst ein rein privater Vorgang, so müssten auch die damit einhergehenden Erbteilschulden, wie insbesondere die Pflichtteilsverbindlichkeiten, privater Natur sein. Dementsprechend könne auch die Erfüllung eines Pflichtteilsanspruchs mithin nicht als entgeltliches Geschäft angesehen werden. Die Erfüllung einer Pflichtteilsverbindlichkeit könne auch nicht einer entgeltlichen Erbauseinandersetzung unter Miterben gleichgestellt werden.
Rz. 234
Da der Veranlassungszusammenhang der Schuldzinsen mit dem privaten Erbfall verbunden sei und dieser auch nicht durch eine Darlehensablösung oder Stundung durchbrochen werde, bleibe es trotz allem beim privaten Charakter der Pflichtteilsschuld. Entsprechende darauf entfallende Schuldzinsen seien daher nicht als Werbungskosten oder Betriebsausgaben absetzungsfähig. "Allein die wirtschaftliche Belastung eines Betriebs als Bestandteil des Nachlasses mit einer Pflichtteilsschuld reicht (…) für die betriebliche Veranlassung des Schuldzinsenabzugs nicht aus. Der Pflichtteilsanspruch ist nicht gegenständlich konkretisiert in Bezug auf das Betriebsvermögen oder einzelne betriebliche Wirtschaftsgüter (…). Die betriebliche Veranlassung folgt auch nicht daraus, dass es der Erhaltung der Erwerbsquelle gewerblicher Betriebe dient, wenn die Erbfallschuld (…) zunächst nicht aus Mitteln des Betriebs zurückgezahlt wird. Denn Aufwendungen, um erbrechtliche Ansprüche gegen den Betriebsinhaber abzuwehren, sind nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nicht betrieblich veranlasst." Siehe dazu auch den Praxishinweis Rdn 222.