Rz. 117
Gem. § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG ist der Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs nicht steuerpflichtig. Zivilrechtlich mag es sich hierbei um einen Erlassvertrag handeln, der zu einer freigebigen und unentgeltlichen Vermögenszuwendung beim Pflichtteilsbelasteten führen kann. Das ErbStG folgt dieser Betrachtungsweise jedoch ausdrücklich nicht bzw. korrigiert dieses Ergebnis durch die Vorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG. Das Ziel dieser Regelung – wie auch des Abstellens auf den Begriff der Geltendmachung in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG – besteht darin, dass der Gesetzgeber den Pflichtteilsberechtigten nicht, auch nicht mittelbar, zwingen möchte, den Pflichtteil durchzusetzen. Er soll in seiner Entscheidung stets frei sein, ob er sich auf das Pflichtteilsrecht berufen möchte oder nicht. Das Abstellen des ErbStG auf den Begriff der Geltendmachung war erforderlich, weil ein Pflichtteilsanspruch zivilrechtlich ohne weiteres Zutun des Pflichtteilsberechtigten anfällt und entsteht (§ 2317 BGB) und – anders als andere erbrechtliche Erwerbe – nicht einseitig ausgeschlagen werden kann. Beim Erwerb eines Erbteils oder eines Vermächtnisses ist dies hingegen möglich.
Rz. 118
Die Regelung in § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG ist nach überwiegender Meinung lediglich klarstellend und entspricht bereits der Systematik des geltenden Rechts. Der Erbe kann den Pflichtteil gem. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG erst steuerlich mindernd berücksichtigen, nachdem der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteil geltend gemacht hat. Würde der Verzicht auf den noch nicht geltend gemachten Pflichtteil beim Erben zu einer steuerpflichtigen Bereicherung führen, so hätte er den gleichen Erwerb doppelt zu versteuern. Dass dies nicht sein kann, versteht sich von selbst und wird in § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG festgeschrieben.
Rz. 119
Hinsichtlich des Begriffs der Geltendmachung gilt das zu § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG Gesagte entsprechend (siehe Rdn 25 ff.).
Rz. 120
§ 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG greift nicht ein, wenn der Pflichtteilsanspruch vorher bereits geltend gemacht worden ist. In diesem Fall ist der Steuertatbestand des § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG bereits erfüllt. Der Pflichtteilsbelastete kann seinen Erwerb gem. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG mindern. Wird nachträglich auf die Erfüllung dieses Anspruchs verzichtet, so stellt dies eine steuerpflichtige unentgeltliche Zuwendung gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG dar. Die einmal durch Geltendmachung entstandene Steuerpflicht erlischt nicht durch die Abstandnahme von der weiteren Durchsetzung. Diese Konstellation sollte daher stets vermieden werden.
Rz. 121
Praxishinweis
Um die Rückkehr zu einer Einigung zwischen Erbe und Pflichtteilsberechtigtem nicht aus steuerlichen Gründen zu verbauen, sollte mit der Geltendmachung des Pflichtteils stets gewartet werden, bis eindeutig feststeht, dass es zur Auszahlung des Pflichtteilsanspruchs tatsächlich kommen soll.
Rz. 122
Wird für den Verzicht auf das Pflichtteilsrecht (§ 2346 Abs. 2 BGB) oder den Pflichtteilsanspruch eine Abfindung gewährt, so steht § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG einer Besteuerung der Abfindung nicht entgegen. Hier sind die beiden speziellen Besteuerungstatbestände des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG und des § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG einschlägig.
Rz. 123
Macht der Pflichtteilsberechtigte von vornherein lediglich die Auszahlung eines Teils des tatsächlich bestehen Pflichtteilsanspruchs geltend, so liegt eine Teilgeltendmachung vor; der damit einhergehende Verzicht auf die Geltendmachung des Restes des Pflichtteilsanspruchs löst keine Erbschaftsteuer aus. Dies folgt aus § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG. Problematisch sind hingegen die Fälle, in denen zunächst der Pflichtteilsanspruch in voller Höhe geltend gemacht worden ist, später jedoch eine Einigung erzielt wurde, wonach lediglich ein Teil des Pflichtteils ausgezahlt werden soll.
Beispiel
Das nichteheliche Kind N ist von seinem Vater enterbt worden und verlangt nunmehr vom Erben seinen Pflichtteil. Über die Höhe besteht Unsicherheit. N erhebt daher Stufenklage beim zuständigen Gericht und kündigt bereits an, den sich daraus errechnenden Betrag zu verlangen.
Rz. 124
Durch die Erhebung der Auskunftsklage im Rahmen der Stufenklage wird der Pflichtteilsanspruch in voller Höhe geltend gemacht, sofern nicht ausdrücklich eine Beschränkung der Geltendmachung auf einen bestimmten Betrag erklärt wird. Eine Beschränkung des Betrages auf einen Teil des Pflichtteilsanspruchs ist hierin nicht zu sehen. Die Erbschaftsteuer gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG ist auf diese Art und Weise bereits entstanden. Wird im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs später im Laufe des Verfahrens eine Einigung erzielt, dass N sich lediglich mit einem Teilbetrag des sich rechnerisch ergebenden Pflichtteilsanspruchs begnügt, so kann dies den ursprünglich entstandenen Steueranspruch gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG nicht wieder beseitigen. In dem Verzicht auf weitergehende Pflichtteilsansprüche scheint daher zunäch...