1. Ausgangspunkt
Rz. 125
Gem. § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG gilt als vom Erblasser zugewandt, was als Abfindung für einen Verzicht auf den entstandenen Pflichtteilsanspruch gewährt wird. Diese Vorschrift behandelt lediglich den Verzicht auf den bereits entstandenen Pflichtteilsanspruch nach dem Ableben des Erblassers. Davon abzugrenzen ist die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG, die Vereinbarungen über das Pflichtteilsrecht vor dem Ableben des Erblassers gem. § 2346 BGB behandelt.
Rz. 126
§ 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG ist subsidiär zum Tatbestand der Geltendmachung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG. Ist mithin der Pflichtteil bereits geltend gemacht worden, so ist in Höhe des nominalen Betrages des Pflichtteilsanspruchs die Steuer bereits entstanden. Ein Fall des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG kann dann nicht mehr verwirklicht werden. Die letztgenannte Vorschrift behandelt lediglich die Fallgestaltungen, in denen auf den noch nicht geltend gemachten Pflichtteil verzichtet und hierfür eine Abfindung geleistet wird. Die Abfindung tritt damit an die Stelle des ansonsten steuerpflichtigen Erwerbs.
Rz. 127
Praxishinweis
Da ein Verzicht auf einen Pflichtteilsanspruch gegen Abfindung nach der Geltendmachung desselben nicht mehr möglich ist, ist in der Praxis darauf Acht zu geben, dass der Pflichtteilsberechtigte nicht vorschnell seinen Pflichtteilsanspruch geltend macht. Bestimmte Gestaltungsmöglichkeiten zur Minderung des Zuwendungswertes sind sonst nämlich ausgeschlossen.
Rz. 128
Die Abfindung gegen Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch ist strikt zu trennen von der Hingabe eines Grundstücks oder sonstigen Vermögensgegenstands an Erfüllungs statt für den Pflichtteilsanspruch gem. § 364 BGB. Die Rechtsfolgen unterscheiden sich wesentlich hinsichtlich der Bewertung. Trotz Hingabe von Grundbesitz oder anderen niedrig bewerteten Wirtschaftsgütern anstelle des Pflichtteilsanspruchs bleibt der Nominalbetrag des Pflichtteilsanspruchs für die Erbschaftbesteuerung maßgeblich, sofern der Pflichtteil geltend gemacht worden war (siehe Rdn 83 ff.). In der Hingabe des Vermögensgegenstands an Erfüllungs statt (§ 364 BGB) für den Pflichtteilsanspruch ist stets eine Geltendmachung zu sehen. Die Grundbesitzwerte der §§ 176 ff. BewG kommen daher nicht zur Anwendung.
Rz. 129
Anders ist dies hingegen im Rahmen des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG. Wird vor der Geltendmachung auf den Pflichtteilsanspruch verzichtet, zivilrechtlich also ein Erlass vereinbart und keine Erfüllungsvereinbarung i.S.d. § 364 BGB getroffen, so wird der Pflichtteilsanspruch nicht geltend gemacht, sondern ein selbstständiger neuer Abfindungsanspruch begründet. Dieser Abfindungsanspruch tritt zwar funktional an die Stelle des vorherigen Pflichtteilsanspruchs. Dennoch ist der zivilrechtliche Unterschied maßgebend, dass keine bloße Erfüllungsvereinbarung getroffen, sondern der bisher bestehende Pflichtteilsanspruch erlassen wird, der damit erlischt und an dessen Stelle aufgrund einer selbstständigen Vereinbarung ein neuer Abfindungsanspruch begründet wird. Da im Falle des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG ein selbstständiger originärer Anspruch auf Übertragung der Abfindung entsteht und es sich bei diesem Anspruch von vornherein nicht um einen auf Bezahlung von Geld gerichteten Anspruch gehandelt hat, ist nicht der Nominalwert maßgeblich, sondern es schlägt die erbschaftsteuerliche Bewertung der hinzugebenden Abfindung durch. Es ist daher allgemein anerkannt, dass bei Hingabe von Grundbesitz als Abfindung für den Verzicht auf einen Pflichtteilsanspruch die erbschaftsteuerlichen Grundbesitzwerte gem. § 12 Abs. 3 ErbStG i.V.m. §§ 176 ff. BewG maßgebend sind.
Rz. 130
Dies kann nach neuem Recht insbesondere im Fall des § 13d ErbStG Bedeutung haben, wenn als Abfindung eine Mietwohnimmobilie hingegeben wird, da dann dem Erwerber der 10 %ige Bewertungsabschlag zusteht.
Rz. 131
Der BFH hat in seiner Entscheidung vom 2.7.2004 in einem obiter dictum die Ansicht vertreten, dass das Grundstückssachvermächtnis möglicherweise beim Vermächtnisnehmer mit dem gemeinen Wert und nicht mit dem Steuerwert nach §§ 176 ff. BewG zu erfassen, gleichzeitig jedoch beim Erben nach § 10 Abs. 6 S. 3 ErbStG nur der Steuerwert abzugsfähig sei. Denn bei Grundbesitz handele es sich um teilweise steuerbefreites Vermögen. Daher könne im Nachlass, in dem der Grundbesitz ja nur mit dem Bedarfswert erfasst sei, auch nur dieser Bedarfswert abgezogen werden. Diese Rechtsprechung hat ein umfangreiches, meist kritisches Echo ausgelöst. Ob der BFH die Rechtsprechung weiterverfolgen wird, ist derzeit offen, da er sie bisher nicht nochmals bestätigt und noch in keinem Fall tatsächlich zur Anwendung gebracht hat. Mit der Erbschaftsteuerreform 2008/2009 hat sie an Bedeutung verloren. Gottwald wirft die Frage auf, ob die vorstehend geschilderte neue Rechtsprechung des BFH aus seiner Entscheidung vom 2.7.2004 auch zu einer geänderten Bewertung im Rahmen des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG führe. Dies ist abzulehnen. Denn Grundlage...