Rz. 14
Gemäß § 2318 Abs. 1 BGB kann der Erbe gegenüber dem Vermächtnisnehmer das Vermächtnis kürzen, wenn er einen Pflichtteil auszahlen muss. Der Vermächtnisnehmer hat sich insoweit an der Pflichtteilslast zu beteiligen. Das Kürzungsrecht des Erben nach § 2318 Abs. 1 BGB besteht dergestalt, dass der Vermächtnisnehmer im Verhältnis seiner Einsetzung die Pflichtteilslast zu tragen hat. Die Pflichtteilslast wird also im Verhältnis von Erbeinsetzung und Vermächtnis verteilt. Im Einzelnen berechnet sich dies wie folgt:
Fall
Der Erblasser E setzt seinen Freund F zum Alleinerben ein. Zugunsten seines weiteren Freundes A setzt er ein Vermächtnis von 20.000 EUR aus. Sein Sohn S, als einziger gesetzlicher Erbe, ist damit enterbt. Der Nachlasswert beträgt 100.000 EUR. S verlangt von F den Pflichtteil. Wie hoch ist der Pflichtteilsanspruch und wer hat ihn zu erfüllen?
Lösung
Der Sohn S hat als einziger gesetzlicher Erbe einen Pflichtteilsanspruch von ½ des Nachlasses. Dies sind 50.000 EUR. Nach § 2318 Abs. 1 BGB kann F die Erfüllung des Vermächtnisses an A insoweit verweigern, als die Pflichtteilslast von ihm und dem Vermächtnisnehmer A verhältnismäßig getragen wird. Das Verhältnis zwischen Vermächtnis und Nachlass beträgt 20:100. Mithin muss sich A im Innenverhältnis zu F im Verhältnis 20/100 = 1/5 an der Pflichtteilslast beteiligen. 1/5 von 50.000 EUR sind 10.000 EUR. In dieser Höhe muss sich der Vermächtnisnehmer seinen Anspruch kürzen lassen. A kann daher Erfüllung des Vermächtnisses nur in Höhe von 20.000 EUR abzüglich 10.000 EUR verlangen. Bei F verbleibt die Pflichtteilslast in Höhe von 40.000 EUR.
Der Pflichtteilsberechtigte Sohn erhält als Pflichtteil |
50.000 EUR |
Der Freund F erhält |
40.000 EUR |
Der weitere Freund A erhält |
10.000 EUR |
Rz. 15
Formel: Das Kürzungsrecht bei Vermächtnissen § 2318 Abs. 1 BGB
Kürzungsrecht = (Pflichtteil × Vermächtnis)/(Nachlass)
Das Kürzungsrecht des § 2318 Abs. 1 BGB kann, neben den Erben, auch nach § 2188 BGB den Vermächtnisnehmern selbst zustehen, wenn diese wiederum mit einem Untervermächtnis belastet sind. Sind mehrere Vermächtnisnehmer vorhanden, so ist jedem gegenüber ein verhältnismäßiges Kürzungsrecht gegeben.
Rz. 16
Erhält ein Beteiligter vermächtnisweise einen unteilbaren Gegenstand, so kann der Erbe bei Geltendmachung des Vermächtnisses im Gegenzug den Kürzungsbetrag verlangen. Lehnt der Vermächtnisnehmer dies ab, so ist der Erbe berechtigt, dem Vermächtnisnehmer den Wert des Vermächtnisses unter Abzug des Kürzungsbetrags auszubezahlen.
Ein weiteres Problem ist in diesem Zusammenhang, ob der Pflichtteilsanspruch bereits geltend gemacht worden sein muss, damit das Kürzungsrecht des § 2318 BGB eingreift, oder ob bereits das Bestehen und die Erwartung der Pflichtteilslast genügen. Nach vorzugswürdiger Ansicht muss das Pflichtteilsrecht konkret geltend gemacht werden, damit das Kürzungsrecht eingreift.
Rz. 17
Haben die Erben bei der Nachlassteilung den Pflichtteilsanspruch nicht berücksichtigt und das Vermächtnis in voller Höhe ausbezahlt, steht ihnen ein Rückforderungsanspruch zu. Werden sie nun nachträglich mit einem Pflichtteil belastet, so ist ihnen gegenüber dem Vermächtnisnehmer ein Anspruch auf Rückzahlung des Kürzungsbetrags gemäß § 813 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 2318 BGB zu gewähren. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn der Pflichtteilsschuldner in Unkenntnis seines Kürzungsrechts den Pflichtteil geleistet hat.
Rz. 18
Strittig ist aber, ob der "bereicherungsrechtliche" Anspruch abtretbar ist (§§ 398, 399, 813, 2318 BGB). Während das OLG Frankfurt dies mit dem Argument verneint, dass es sich hierbei um einen höchstpersönlichen "Billigkeitsanspruch" zwischen Erbe und Vermächtnisnehmer handele, hält die wohl überwiegende Auffassung eine Abtretung für zulässig, da es sich nicht um einen personenbezogenen Kondiktionsanspruch handele.
Rz. 19
Hinweis
Die Höhe des Kürzungsrechts bemisst sich zwangsläufig nach der Höhe des Pflichtteilsanspruchs. Der für das Kürzungsrecht beweispflichtige Erbe sollte daher, da das zwischen Erben und Pflichtteilsberechtigten erstrittene Urteil keine Rechtskraft im Verhältnis zum Vermächtnisnehmer oder Auflagenbegünstigten entfaltet, diesen den Streit verkünden.
Rz. 20
Will der Erblasser dem Vermächtnisnehmer das Vermächtnis in ungekürzter Form zukommen lassen, so muss er in seiner Verfügung von Todes wegen die Vorschrift des § 2318 Abs. 1 BGB abbedingen, wozu er nach § 2324 BGB berechtigt ist.
Rz. 21
Soweit ein Erbe wegen § 2318 Abs. 2 BGB eine Kürzung gegenüber einem pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmer nicht vornehmen darf, hat er diese allein zu tragen bzw. kann er diese anteilsmäßig auf andere Vermächtnisnehmer oder Auflagenbegünstigte abwälzen. Umstritten ist, welcher Verteilungsschlüssel dabei anzuwenden ist. Nach h.M. richtet sich dieser nach dem ursprünglichen Beteiligungsverhältnis am bereinigten Nachlass, der dem Erben und dem Vermächtnisnehmer vor Anwendung des ersten Kürzungsrechts zur Verfügung steh...