I. Beratungssituationen
Rz. 1
Bei letztwilligen Verfügungen, bei denen Bedachte beim Erbfall noch minderjährig sein können, sind besondere Anordnungen zu treffen. Der Einfluss und die Einsicht des Familiengerichts in private Vermögensangelegenheiten können vermieden oder erheblich reduziert und die Bestellung einer fremden, möglicherweise unqualifizierten Person zum Pfleger vermieden werden.
Nach Scheidung einer Ehe wird nicht selten der Wunsch an den Berater herangetragen, eine Regelung zu finden, die verhindert, dass das Vermögen, das die gemeinschaftlichen Kinder erben werden, nicht vom geschiedenen Ehepartner verwaltet wird. Wird der Mandant darüber aufgeklärt, dass der geschiedene Partner Vermögenseinkünfte des Kindes gemäß § 1649 Abs. 2 S. 1 BGB u.U. für seinen eigenen Unterhalt verwenden kann, so wird meistens der Wunsch geäußert, dies auszuschließen.
II. Grundzüge der Vertretung von minderjährigen Kindern
1. Elterliche Sorge (Innenverhältnis)
Rz. 2
Die elterliche Sorge umfasst gemäß § 1626 Abs. 1 S. 2 BGB die Sorge für die Person (Personensorge) und für deren Vermögen (Vermögenssorge). Die Vermögenssorge umfasst alle tatsächlichen und rechtlichen Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, das Kindesvermögen zu erhalten, zu verwerten und zu vermehren. Sie steht den Eltern gemeinsam zu, kann jedoch auf andere Personen ganz – etwa auf den Vormund nach § 1773 BGB – oder teilweise – auf den Pfleger nach § 1630 Abs. 1 BGB – übergehen. Haben nicht verheiratete Eltern keine Sorgeerklärung abgegeben, steht das Sorgerecht alleine der Mutter zu (§ 1626 Abs. 3 BGB). Bei gemeinsamer Sorge steht nach dem Tod eines Elternteils dem längerlebenden Elternteil alleine das Sorgerecht zu (§ 1680 Abs. 1 BGB). Stand bei nicht miteinander verheirateten Eltern einem Elternteil die elterliche Sorge gemäß § 1626a Abs. 3 BGB oder bei zunächst miteinander verheirateten Eltern nach der Trennung bzw. Scheidung gemäß § 1671 BGB alleine zu und ist dieser gestorben, so hat das Familiengericht die elterliche Sorge dem längerlebenden Elternteil zu übertragen, wenn dies dem Wohl des Kindes nicht widerspricht (§ 1680 Abs. 2 BGB).
2. Elterliche Vertretungsmacht (Außenverhältnis)
Rz. 3
Aus dem elterlichen Sorgerecht im Innenverhältnis folgt gemäß § 1629 Abs. 1 BGB ein Gesamtvertretungsrecht beider Eltern nach außen. Übt ein Elternteil die elterliche Sorge etwa nach dem Tod des anderen Elternteils alleine aus, ist dieser der alleinige Vertreter (§ 1629 Abs. 1 S. 3 BGB).
Rz. 4
Die elterliche Vertretungsmacht unterliegt Grenzen. So besteht ein Vertretungsverbot bei Geschäften mit möglicher Interessenkollision (§ 1629 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1795 BGB bzw. § 1796 BGB), wobei bereits das Vertretungsverbot nur eines Elternteils zum vollständigen Ausschluss der elterlichen Vertretungsmacht, also auch des anderen Elternteils, führt. Über die in § 1795 BGB und § 1796 BGB hinausgehenden Konstellationen kommt ein Ausschluss der Vertretungsmacht nicht in Betracht.
Ein Verbot ergibt sich bei einem abstrakten Interessengegensatz in den Fällen des § 1795 Abs. 1 Nr. 1–3 BGB. Es kommt nicht darauf an, ob bei § 1795 BGB die Interessen des Kindes tatsächlich gefährdet sind. Auch nimmt das Gesetz ein Vertretungsverbot bei einem Insichgeschäft an (§§ 1795 Abs. 2, 181 BGB). Dabei ist zu bedenken, dass bei ausschließlicher Erfüllung einer Verbindlichkeit kein unzulässiges Insichgeschäft vorliegt (§ 181 Hs. 2 BGB). Auch ist § 181 BGB bei einem Rechtsgeschäft, welches dem Minderjährigen lediglich rechtliche Vorteile bringt, nicht anwendbar. Ebenfalls ist die Beantragung eines Erbscheins kein Rechtsgeschäft i.S.d. § 1795 BGB.
Rz. 5
Ein Vertretungsverbot besteht auch bei einem "erheblichen" Interessenkonflikt nach § 1796 Abs. 1 BGB, mithin bei einem fraglichen konkreten Interessengegensatz ("in erheblichem Gegensatz steht"). Ein solcher ist stets für einzelne Angelegenheiten bzw. einen Aufgabenkreis zu prüfen. Voraussetzung ist, dass das Interesse des Kindes in erheblichem Gegensatz zum Interesse des Elternteils als gesetzlichem Vertreter steht. Ein erheblicher Gegensatz ist gegeben, wenn das eine Interesse nur auf Kosten des anderen Interesses durchgesetzt werden kann und die Gefahr besteht, dass die sorgeberechtigten Eltern das Kindesinteresse nicht genügend berücksichtigen können. Ein solcher konkreter Interessengegensatz kann sich in vielfältigen Situationen nach dem Erbfall ergeben, so bei einer Erbengemeinschaft, in der sich Eltern gemeinsam mit einem minderjährigen Kind befinden, bei Vermächtnissen und bei Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs. Auch ist ein konkreter Interessengegensatz anzunehmen, wenn das minderjährige Enkelkind des Erblassers erbt und ein Elternteil, also ein Kind des Erblassers, seine Pflichtteilsansprüche durchsetzen möchte.
Rz. 6
Zuletzt kann sich ein Ausschluss der Vertretungsmacht über § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB (Bestellung eines Ergänzungspflegers) auch aus § 1666 BGB (Entziehung der Vertretungsmacht durch das Familiengericht) bei einer Gefährdung des Kindesvermögens ergeben, wenn die gegen...