Rz. 20
Gerade das beliebte Berliner Testament beinhaltet die Enterbung der Kinder im ersten Erbfall, die mithin ihren Pflichtteil fordern können. Dem längerlebenden Ehegatten droht durch die Pflichtteilsansprüche ein erheblicher Liquiditätsabfluss, der oftmals in den hier betrachteten Fällen besonders empfindlich ist, weil es eine junge Familie trifft.
Der Grundsatz: Im Regelfall bleibt es den Kindern überlassen, ob sie später den Pflichtteil verlangen. Schließlich sind diese Ansprüche gegen den längerlebenden Elternteil bis zum 21. Lebensjahr gehemmt (§ 207 Abs. 1 S. 2 BGB), so dass der Anspruch erst mit Vollendung des 24. Lebensjahres verjährt. Es wird auch vertreten, dass der längerlebende Elternteil ein Kind nach Volljährigkeit über etwaige Pflichtteilsansprüche informieren muss, da er sich ansonsten gemäß §§ 1664, 1833 BGB haftbar machen könnte.
Rz. 21
Gleichwohl kommt die Bestellung eines Pflegers in Betracht, und zwar einerseits bei testamentarischem Entzug der Verwaltungsbefugnis des längerlebenden Elternteils (§ 1638 BGB) und andererseits bei Feststellung einer Interessenkollision durch das Familiengericht: So kann es dem längerlebenden Elternteil die Vermögenssorge für den Bereich der Erbschaft, näher der Pflichtteilsansprüche, entziehen (§§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 BGB) und für diesen Teilbereich einen Ergänzungspfleger bestellen (§ 1909 BGB). Hierzu muss gemäß § 1796 Abs. 2 BGB zwischen alleinerbendem Elternteil und pflichtteilsberechtigtem Kind ein "erheblicher Gegensatz" bestehen; es hat eine einzelfallbezogene Interessenabwägung stattzufinden, die sich nach dem Kindeswohl richtet. Abzuwägen ist, inwieweit einerseits die Geltendmachung des Pflichtteils den Familienfrieden gefährden kann, und andererseits, ob die Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs nach Eintritt der Volljährigkeit gefährdet sein kann. Rechtsprechung und Literatur sind eher zurückhaltend, einen solchen Interessengegensatz anzunehmen. Damrau ist der Auffassung, dass ein Interessengegensatz besteht, wenn ein "erwähnenswerter Pflichtteil" existiere. Das wird aber nicht reichen.
Das BayObLG weist sogar darauf hin, dass den Kindern im Verhältnis zu dem längerlebenden Elternteil wirtschaftliche und ideelle Vorteile erwachsen, die häufig nicht geringer als die Pflichtteilsansprüche seien. Diese Vorteile seien bei Pflichtteilsgeltendmachung beeinträchtigt und gefährdet; der Wahrung des Familienfriedens würde erhebliche Wirkung für das Wohl der Kinder zukommen. Dass kein Pfleger erforderlich wird gilt umso mehr, wenn das Berliner Testament eine Pflichtteilsstrafklausel und eine wechselbezügliche Schlusserbeinsetzung der Kinder enthält. Grundsätzlich ist auch davon auszugehen, dass der längerlebende Elternteil entscheiden darf, ob der Pflichtteil geltend gemacht wird.
Rz. 22
Wenn dennoch im Einzelfall die Vermögenssorge für den Teilbereich zu entziehen und dafür ein Pfleger zu bestellen ist, beschränkt sich seine Aufgabe i.d.R. nur auf die Sicherung des Anspruchs, etwa durch eine Grundschuld. Hierzu ist eine konkrete Gefährdung der Kindesinteressen erforderlich.
Rz. 23
Doch kann es auch im Interesse des alleinerbenden Elternteils liegen, etwa zum Ausnutzen der erbschaftsteuerlichen Freibeträge, die Pflichtteilsansprüche zu erfüllen. Die Erfüllung ist ihm möglich, da es sich um die Erfüllung einer bestehenden Verbindlichkeit handelt (vgl. § 181 BGB). Jedoch kann die Zahlung nur als Abschlagszahlung zu bewerten sein; nach Eintritt der Geschäftsfähigkeit kann das betreffende Kind durch Geltendmachung der vorbereitenden Ansprüche ermitteln, ob noch ein Restbetrag offen ist. Dagegen wird dieser Elternteil bei der Erfüllung der vorbereitenden Ansprüche nach § 181 BGB von der gesetzlichen Vertretung ausgeschlossen sein. Keineswegs ist er berechtigt, in Vertretung für das minderjährige Kind mit sich selber einen Erlassvertrag abzuschließen, denn hier ist § 181 BGB einschlägig (§§ 1629 Abs. 2, 1795 Abs. 2 BGB).
Rz. 24
Gestaltungsoptionen: § 1638 BGB ist als familienrechtliche Anordnung auch auf den Pflichtteil anzuwenden, so dass der längerlebende Ehegatte auch bestimmen kann, dass der längerlebende Elternteil von der gesetzlichen Vertretung ausgeschlossen sein soll. Dann ist ein Pfleger zu bestellen (§ 1909 BGB); der Erblasser kann hierzu Personen bestimmen (§ 1917 BGB). Ebenfalls kann der Erblasser nach § 1639 BGB Anordnungen über die Verwaltung treffen. Eine Verwaltungsvollstreckung ist aber nicht für den Pflichtteilsanspruch möglich, was sich aus §§ 2306 f. BGB ergibt.