Rz. 40
Streitigkeiten ergeben sich im Hinblick auf die Form des Gründungsaktes. Die Frage taucht in ähnlicher Form bei der Formwirksamkeit der Abtretung wieder auf. Ausgangspunkt dieser Schwierigkeiten ist Art. 11 Abs. 1 EGBGB. Für die Formwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts genügt danach nicht nur die Einhaltung des Formerfordernisses des Rechts, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist (Geschäftsrecht bzw. lex causae, in casu also das Gesellschaftsstatut, Art. 11 Abs. 1 Fall 1 EGBGB). Zur Erleichterung der Einhaltung der Form (favor negotii) soll auch die Einhaltung der Formerfordernisse des Rechts des Staates, in dem das Rechtsgeschäft vorgenommen ist (Ortsrecht bzw. lex loci actus) genügen, Art. 11 Abs. 1 Fall 2 EGBGB.
Rz. 41
Hieran schließen sich in der Lit. zwei Streitfragen an: Zunächst ist es im deutschen Recht umstritten, ob die in Art. 11 Abs. 1 Fall 2 EGBGB vorgesehene alternative Geltung des Ortsrechts auch im Gesellschaftsrecht zum Zuge kommt. Hier geht es also um die Behandlung des Problems auf kollisionsrechtlicher Ebene. Verneint man diese erste Frage und verlangt das – in diesem Fall dann ausschließlich maßgebliche – Gesellschaftsstatut die notarielle Beurkundung, so stellt sich die zweite Frage, ob die notarielle Beurkundung auch von einem ausländischen Notar vorgenommen werden kann und welche Anforderungen dann ggf. an die Person des Notars und das Verfahren der Beurkundung zu stellen sind (Gleichwertigkeitsfrage).
In Bezug auf die erste Frage zeichnet sich zumindest für Akte, die die Organisation der Gesellschaft betreffen – und dies gilt vorzüglich für den Gründungsakt – eine h.M. dahingehend ab, dass ausschließlich die vom Gesellschaftsstatut verlangte Form gilt und das Ortsrecht nicht zugelassen ist. So weist beispielsweise das Kammergericht im Zusammenhang mit der Beurkundung der Gründung einer deutschen GmbH in der Schweiz in einem Beschl. v. 24.1.2018 zutreffend darauf hin, dass die Einhaltung der Ortsform bei statusrelevanten gesellschaftsrechtlichen Vorgängen, die die Verfassung der Gesellschaft betreffen, nicht ausreicht, um den jeweiligen Vorgang formwirksam vornehmen zu können. Die weiteren Ausführungen des KG zur Gleichwertigkeit der Beurkundung einer GmbH-Gründung durch einen schweizerischen Notar sind indes kritisch zu bewerten und haben ein lebhaftes Echo in der Lit. ausgelöst.
Rz. 42
Abzuwarten bleibt, wie sich die durch das Company Law Package eingeführten "Regelungen zur Online-Gründung von Gesellschaften, zur Online-Eintragung von Zweigniederlassungen und zur Online-Einreichung von Urkunden und Informationen durch Gesellschaften und Zweigniederlassungen" auf das Phänomen des Beurkundungstourismus auswirken wird. Die europäischen Vorgaben betreffen in Deutschland unmittelbar nur die Bargründung von GmbHs (einschließlich der UG haftungsbeschränkt). Für die AG, KGaA und die SE mit Sitz in Deutschland (Art. 13g Abs. 1 UAbs. 2 EU-GesR-RL) sowie für die Sachgründung (Art. 13g Abs. 4 Buchst. d EU-GesR-RL) kann, muss aber nicht eine Online-Gründung durch das deutsche Recht angeboten werden. Der deutsche Gesetzgeber hat in einem ersten Schritt durch das Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) die Möglichkeit geschaffen, die notarielle Beurkundung des Gesellschaftsvertrags im Fall einer GmbH-Gründung ohne Sacheinlagen auch mittels Videokommunikation vorzunehmen. Das DiRUG trat am 1.8.2022 in Kraft. Der Anwendungsbereich der Online-Beurkundung wurde in einem zweiten Schritt durch das Gesetz zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiREG) auf Gründungsvollmachten (§ 2 Abs. 2 Satz 2 GmbHG) sowie seit 1.8.2023 auf GmbH-Sachgründungen (§ 2 Abs. 3 Satz 1 GmbHG), einstimmig gefasste satzungsändernde Beschlüsse einschließlich Kapitalmaßnahmen (§ 53 Abs. 3 Satz 2 GmbHG) und Übernahmeerklärungen bei GmbH-Kapitalerhöhung (§ 55 Abs. 1 Satz 2 GmbHG) erstreckt. Auch die Zulässigkeit der Online-Beglaubigungen für Handelsregisteranmeldungen wurde auf sämtliche Gesellschaften und Einzelkaufleute erweitert (§ 40a BeurkG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 HGB).
Zur Digitalisierung des Gesellschaftsrechts in Deutschland siehe die Ausführungen in § 10.