I. Allgemeines
Rz. 120
Wird gegen eine ausländische Gesellschaft geklagt oder entsteht eine Streitigkeit zwischen den Gesellschaftern einer ausländischen Gesellschaft, so ist nicht nur fraglich, welches Recht über die Begründetheit der geltend gemachten Rechte entscheidet (IPR), sondern auch, in welchem Staat die Klage vor dem zuständigen Gericht einzureichen ist (internationale Zuständigkeit). Letztere Frage wird vom internationalen Zivilprozessrecht beantwortet, das sich mit den verfahrensrechtlichen Besonderheiten befasst, die sich bei der Beteiligung von ausländischen Staatsangehörigen, im Ausland lebenden Personen und ausländischen Streitgegenständen ergeben (internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte, Partei- und Prozessfähigkeit von Ausländern vor deutschen Gerichten, Zustellung von Klagen, Urteilen und sonstigen Schriftstücken im Ausland, Beweisaufnahme im Ausland, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile, etc.).
Rz. 121
Für einen Überblick über das gesamte internationale Zivilprozessrecht sei auf die einschlägige Spezialliteratur verwiesen. Die internationale Zuständigkeit ist in internationalen Sachverhalten von erheblich praktischer Bedeutung. So muss der Anwalt, dem das Mandat für einen Rechtsstreit angetragen wird, schon vor den materiell-rechtlichen Überlegungen prüfen, ob die deutschen Gerichte überhaupt zuständig sind. Im Fall einer Verneinung ist zu klären, in welchen Staaten er ansonsten klagen könnte. Das ist nicht nur für die Einschaltung eines ausländischen Rechtsanwalts und die Berücksichtigung der abweichenden Sichtweise des ausländischen Gerichts von Bedeutung. Daran kann sich vielmehr die Strategie des gesamten Vorgehens entscheiden, je nachdem, ob die Durchführung des Prozesses in dem ausländischen Staat dem eigenen Mandanten oder dem Gegner die größeren Opfer abverlangt. Auch mag ein Gericht in einem anderen Staat ein für den eigenen Mandanten günstigeres Recht anwenden.
II. Quellen des Internationalen Zivilprozessrechts
Rz. 122
Die niedrigste Hierarchiestufe unter den Rechtsquellen nimmt das nationale ("autonome") Zuständigkeitsrecht ein. Hierbei überrascht es zunächst, dass es – anders als für das IPR – im deutschen Recht einen geschlossenen Regelungskomplex weder für das internationale Zivilprozessrecht noch etwa für die internationale Zuständigkeit gibt. Unter den allgemeinen Zuständigkeitsnormen finden wir den § 23 ZPO, wonach eine Person, die im Inland keinen Wohnsitz hat, wegen vermögensrechtlicher Ansprüche auch vor dem Gericht verklagt werden kann, in dessen Bezirk sich Vermögen des Beklagten befindet. Diese Vorschrift ist mehr Ergänzung zu einem anders gearteten System als ein eigener Grundsatz.
Rz. 123
Bislang wurde diese Regelungslücke dadurch gefüllt, dass man die internationale Zuständigkeit als eine örtliche Zuständigkeit im weiteren Sinne behandelt und aus den Zuständigkeitsnormen für die örtliche Zuständigkeit abgeleitet hat. Die Zuweisung der örtlichen Zuständigkeit an ein bestimmtes deutsches Gericht aufgrund des Sitzes einer Gesellschaft oder anderer Umstände indiziert also bspw. über §§ 13, 17 ZPO – quasi von der lokalen auf die internationale Ebene verlängert – auch die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Klage.
Die praktische Bedeutung dieser Fortbildung des nationalen Rechts schwindet jedoch. Jedenfalls dann, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz – bzw. die beklagte Gesellschaft ihren Sitz – in einem Mitgliedstaat der EU hat, unterliegt die internationale Zuständigkeit der Gerichte in Zivil- und Handelssachen den Vorschriften der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO, auch: Brüssel Ia-Verordnung). Diese Verordnung gilt nach ihrem Art. 81 Unterabs. 2 ab dem 10.1.2015 und ersetzt ihre Vorgängerin (vgl. Art. 80), nämlich die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12.2000 (Brüssel I). In Großbritannien gilt die Brüssel Ia-Verordnung seit dem 1.1.2021 infolge des Brexits nicht mehr. Das Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16.9.1988 stellt ein weitgehend gleichlautendes Parallelüberkommen dar, welches im Verhältnis der EU-Staaten zu Nicht-EU-Staaten abgeschlossen wurde. Daher gilt es weiterhin für Deutschland im Verhältnis zu Island, Norwegen und der Schweiz.