1. Bestimmung des Verwaltungssitzes
Rz. 10
Maßgeblich für die Anknüpfung ist nach der Sitztheorie allein der tatsächliche (effektive) Verwaltungssitz der Gesellschaft. Eine Legaldefinition des Verwaltungssitzes findet sich mittlerweile in § 706 Satz 1 BGB in der seit dem 1.1.2024 geltenden Fassung. Sitz der Gesellschaft ist demnach der Ort, an dem deren Geschäfte tatsächlich geführt werden. Der BGH rezipiert demgegenüber die sog. Sandrock’sche Formel. Danach befindet sich der tatsächliche Sitz der Hauptverwaltung am "Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungsorgane, also dem Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden". Der Ort der internen Willensbildung, der Wohnsitz der Gesellschafter sowie der Ort der Aufsichtsratssitzungen sind ebenso nebensächlich wie der Ort der Vorstands- und Geschäftsführerversammlungen. Entscheidend ist vielmehr, wo die Gesellschaft nach außen hin in Erscheinung tritt. Dabei ist nicht einmal maßgeblich, ob diese Aufgabe durch einen organschaftlichen Vertreter oder einen anderen Angestellten mit faktisch umfassender Vertretungs- und Entscheidungskompetenz wahrgenommen wird.
Hinweis
Dem Schutzcharakter der Sitztheorie entspricht es, dass es darauf ankommt, wo die Entscheidungen tatsächlich umgesetzt werden und die Gesellschaft nach außen in Erscheinung tritt. Es kommt also auf den Ort an, an dem das Tagesgeschäft der Gesellschaft durchgeführt wird, sodass dieser Ort als Schwerpunkt des gesellschaftlichen Lebens zu qualifizieren ist. Die Identifizierung dieses Schwerpunkts kann in der Praxis im Einzelfall schwierig sein.
Beispiel
Eine in Dublin registrierte limited company irischen Rechts klagte 1998 vor dem LG Potsdam Maklerprovision ein. Die vertretungsberechtigten Organmitglieder des board of directors der limited company lebten und arbeiteten in London und auf den Kanalinseln. Die gewerbliche Tätigkeit der Gesellschaft wurde ausschließlich von einem in Berlin wohnenden "Generalbevollmächtigten" wahrgenommen, der in Deutschland belegene Immobilienobjekte vermittelte. Das LG Potsdam entschied daher zu Recht, dass die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz in Deutschland habe.
Rz. 11
Grds. ist bei in mehreren Ländern aktiven Gesellschaften der Schwerpunkt der Tätigkeit zu ermitteln. Es ist aber auch möglich, dass eine Gesellschaft mehrere tatsächliche Verwaltungssitze hat. Da es bei der Ermittlung des Schwerpunkts ausschließlich auf die tatsächlichen Umstände ankommt, ist ein Beweis nur unter Darlegung der gesamten geschäftlichen Aktivitäten der Gesellschaft möglich. Nahezu unmöglich erscheint diese Darlegung im Grundbuch- oder Handelsregisterverfahren, wo der Nachweis in öffentlich beglaubigter Form zu führen ist. Diesen Nachweisschwierigkeiten begegnet die obergerichtliche Rspr. durch einen Anscheinsbeweis demgemäß sich der tatsächliche Sitz der Hauptverwaltung in dem Staat befindet, nach dessen Recht die Gesellschaft erkennbar organisiert ist.
Rz. 12
Ausnahmsweise kann nach der Rspr. auf die Ermittlung des effektiven Verwaltungssitzes verzichtet werden, wenn eine solche nicht oder – unter Zugrundelegung aller relevanten Einzelheiten – nur unter großen Schwierigkeiten vorgenommen werden kann.
Beispiel
Eine limited company agierte als Maklerin von Lufttransportkapazitäten. Die in verschiedenen Staaten wohnenden und hauptberuflich als Flugzeugpiloten tätigen Gesellschafter-Geschäftsführer handelten nicht von einem bestimmten Ort aus, sondern "durch die Welt fliegend" von ihren jeweiligen Einsatzorten. Es ließ sich nicht einmal eine einheitliche Verwaltung ausmachen, da sie zwar alle im Namen der Gesellschaft, ansonsten aber einzeln und weitgehend eigenständig handelten. Ein "Sitz der Hauptverwaltung" bestand damit nicht, insb. erfolgte keine Tätigkeit vom Gründungsstaat aus – eine Tätigkeit war der Gesellschaft dort sogar gesetzlich untersagt ("Nixtecs").
Bei der Ermittlung eines Verwaltungssitzes wären aufgrund der geringen Ortsbindung schon minimale Umstände ausschlaggebend gewesen. Nebensächlichkeiten, wie etwa einem mehrmaligen Treffen der Gesellschafter in demselben Flughafenhotel, käme eine entscheidende Bedeutung zu. Das OLG Frankfurt am Main sah daher davon ab, einen Verwaltungssitz zu fixieren, und erklärte mangels eines Sitzes sei ausnahmsweise der Gründungstheorie zu folgen.
Die Entscheidung ist richtig, denn kein Staat kann geltend machen, sein Rechtsverkehr sei durch die Tätigkeit der Gesellschaft so intensiv berührt, dass sich die Gesellschaft insgesamt seinem Gesellschaftsrecht unterstellen müsse.