1. Erste gesellschaftsrechtliche Richtlinie
a) Publizitätspflicht
Rz. 145
Die Richtlinie 2009/101/EG (Publizitätsrichtlinie), beabsichtigt die Stärkung des Schutzes Dritter, die mit einer Kapitalgesellschaft, die in einem Mitgliedstaat der EU gegründet worden ist, kontrahieren. Insb. sollen diese vor Schäden aus der Unwirksamkeit von Verpflichtungen der Gesellschaft geschützt werden. Die Umsetzung erfolgte in Deutschland durch Gesetz vom 15.8.1969 und Verordnung vom 23.7.1969. Die Regelungen der Publizitätsrichtlinie finden sich mittlerweile in der konsolidierten Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (EU-GesR-RL). Die Richtlinie enthält zur Verwirklichung ihres Zwecks Regeln auf drei verschiedenen Gebieten. Zunächst wird die Publikation der Satzung, der Besetzung der Organe und der Vertretungsbefugnis sowie des Jahresabschlusses angeordnet. Auch § 15 Abs. 3 HGB geht auf diese Richtlinie zurück.
b) Weitere Schwerpunkte der Richtlinie
Rz. 146
Des Weiteren stärkt die Richtlinie die Stellung der Vertretungsorgane zugunsten mit der Gesellschaft handelnder Dritter. Gem. Art. 9 Abs. 2 EU-GesR-RL können satzungsmäßige oder auf einem Beschluss der zuständigen Organe beruhende Beschränkungen der Befugnisse der Organe der Gesellschaft Dritten nicht entgegengesetzt werden, selbst wenn sie bekannt gemacht worden sind. Auch können Fehler bei der Bestellung von Leitungsorganen Dritten nicht entgegengehalten werden, soweit die Bestellung ordentlich publiziert worden ist – es sei denn der Dritte war nachweislich bösgläubig. Handlungen, die den Rahmen des Gegenstands des Unternehmens überschreiten, sind zugunsten der mit der Gesellschaft kontrahierenden gutgläubigen Dritten wirksam (Art. 9 Abs. 1 EU-GesR-RL). Hierdurch wird mit dem Grundsatz der ultra-vires-Doktrin gebrochen. Allenfalls für den Fall, dass die Gesellschaft beweist, dass dem Dritten die Überschreitung des Unternehmensgegenstandes durch die Handlung bekannt war oder dass er darüber nach den Umständen nicht in Unkenntnis sein konnte, kann das nationale Recht eine Ausnahme von der Gültigkeit vorsehen. Die Bekanntmachung der Satzung darf zu diesem Beweis aber nicht ausreichen.
Schließlich enthält die Richtlinie Vorschriften für den Fall der Nichtigkeit der Gesellschaft (Art. 11 f. EU-GesR-RL) und die Haftung für Verpflichtungen, die im Namen der Gesellschaft vor ihrer Eintragung eingegangen worden sind (Art. 7 Abs. 2 EU-GesR-RL).
c) Elektronisches Handelsregister
Rz. 147
Durch die weitere Richtlinie vom 15.7.2003 ist die Publizitätsrichtlinie ergänzt worden. Hierdurch wurde neben diversen Aktualisierungen und Anpassungen insb. eine Vorschrift aufgenommen, die die Möglichkeit der elektronischen Anmeldung zum Handelsregister und der Online-Einsicht in das Handelsregister vorschreibt. Die Umsetzung in Deutschland erfolgte durch das zum 1.1.2007 in Kraft getretene EHUG vom 15.11.2006.
2. Zweite gesellschaftsrechtliche Richtlinie
Rz. 148
Die Zweite gesellschaftsrechtliche Richtlinie (77/91/EWG) vom 13.12.1976 (Kapitalrichtlinie), bezweckt insb. die Angleichung der Vorschriften über das Mindestkapital, die Kapitalaufbringung und die Kapitalerhaltung. Die Richtlinie ist durch eine weitere Richtlinie vom 23.11.1992 um einen Art. 24a ergänzt worden. Damit wurde das im "kontinentalen Rechtskreis" bereits seit Langem verankerte System eines festen Mindestkapitals auch in die nordischen Länder und die dem common law folgenden Länder hineingetragen. Aus Gründen der Klarheit wurde durch die Richtlinie 2012/30/EU vom 25.10.2012 eine Neufassung vorgenommen. Die Regelungen der Kapitalrichtlinie finden sich mittlerweile in der konsolidierten EU-GesR-RL.
Rz. 149
Die Richtlinie gilt ausschließlich für AG. Sie enthält hierfür nicht nur Vorschriften über Mindestkapitel (25.000,00 EUR, Art. 45 EU-GesR-RL), Sacheinlagen, Nachgründung, Sachübernahmen und verdeckte Sachgründungen, sondern auch über Ausschüttungssperren, Voraussetzungen für den Erwerb eigener Aktien und schließlich die Kapitalherabsetzung. In Deutschland wurde zur Umsetzung der Richtlinienvorgaben eine Änderung des AktG erforderlich, die durch Gesetz vom 23.12.1978 erfolgte. Diese Änderung betraf im Wesentlichen die Leistung der Bareinlagen (§ 36a AktG) und die Prüfung bei Sacheinlagen i. R. d. Gründung (§ 33 AktG) wie auch i. R. d. Kapitalerhöhung (§ 183 Abs. 3 AktG).