Rz. 55
Ausgangspunkt ist, dass für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen gem. Art. 7 EuInsVO grds. das Insolvenzrecht des Staats gilt, in dem das Verfahren eröffnet wird (lex fori concursus). Bei Eröffnung des Verfahrens durch ein deutsches Gericht muss dieses also auch dann, wenn der Schuldner eine nach ausländischem Recht errichtete Gesellschaft ist, die Vorschriften des deutschen Rechts, v.a. die InsO, anwenden. Dieses Insolvenzstatut regelt, aus welchen Gründen das Insolvenzverfahren eröffnet werden kann und wie es durchzuführen und zu beenden ist. Es regelt insb.:
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welche Vermögenswerte zur Masse gehören und wie die nach der Verfahrenseröffnung vom Schuldner erworbenen Vermögenswerte zu behandeln sind, |
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die Befugnisse des Schuldners und des Verwalters, |
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wie sich das Insolvenzverfahren auf die laufenden Verträge des Schuldners auswirkt, |
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welche Forderungen als Insolvenzforderungen anzumelden sind und wie Forderungen zu behandeln sind, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen und |
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welche Rechtshandlungen nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen. |
Rz. 56
Einige Fragen nach der Reichweite des Insolvenzstatuts sind umstritten. Im Hinblick auf die Abgrenzung zum Gesellschaftsstatut betrifft dies insb. die Insolvenzantragspflicht. Teilweise wird insoweit die Ansicht vertreten, diese unterläge dem Gesellschaftsstatut. Dies kann nicht überzeugen, denn die Verpflichtung zur Antragstellung dient weniger gesellschaftsrechtlichen Ordnungsinteressen (wie z.B. der internen Kompetenzverteilung) als der rechtzeitigen Einleitung des Insolvenzverfahrens, um den Erfolg des Verfahrens zu gewährleisten. Damit werden spezifisch insolvenzrechtliche Ziele verfolgt. Dies rechtfertigt eine insolvenzrechtliche Qualifikation der Insolvenzantragspflicht.
Rz. 57
Auch der EuGH geht von einer insolvenzrechtlichen Qualifikation der Insolvenzantragspflicht aus. In der Rechtssache "Kornhaas/Dithmar" weist das Gericht im Zusammenhang mit der Haftung der Geschäftsführer aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. darauf hin, dass nach Art. 4 Abs. 2 der Verordnung 1346/2000 (jetzt Art. 7 Abs. 2 EuInsVO) die lex fori concursus u.a. regeln würde, "unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird“". Um die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung sicherzustellen, ist – so der EuGH weiter – diese "dahin auszulegen, dass in ihren Anwendungsbereich erstens die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, zweitens die Regeln für die Bestimmung der zur Stellung des Antrags auf Eröffnung dieses Verfahrens verpflichteten Personen und drittens die Folgen eines Verstoßes gegen diese Verpflichtung fallen." Sodann nimmt der EuGH ausdrücklich die ursprünglich in § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. geregelte Insolvenzantragspflicht in Bezug und unterstellt sie dem Anwendungsbereich des Art. 4 der Verordnung 1346/2000 (jetzt Art. 7 EuInsVO).
Rz. 58
Für die Haftung aus Insolvenzverschleppung ist zu berücksichtigen, dass es sich hierbei um eine Haftung handelt, die akzessorisch zur Verletzung einer Handlungspflicht ist. Damit hat sie ihren Ursprung im Insolvenzrecht. Sie kann nur nach demselben Recht beurteilt werden, wie die Handlungspflicht an sich. Dem Recht, das die Verpflichtung und den Sorgfaltsmaßstab bestimmt, ist folglich auch die Sanktion der Verletzung zu entnehmen. Schließlich soll sich keine Sanktion ergeben, wo keine Verpflichtung verletzt worden ist. Die Verpflichtung zur Stellung des Insolvenzantrags ergibt sich hingegen nicht aus dem Gesellschaftsrecht, sondern aus dem Insolvenzrecht. Aus der insolvenzrechtlichen Qualifikation der Insolvenzantragspflicht ergibt sich damit die Geltung des Insolvenzstatuts auch für die Haftung, und zwar ganz gleich, ob diese im Einzelnen aus Haftungstatbeständen des Gesellschaftsrechts oder des allgemeinen Deliktsrechts (§§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO, 826 BGB) resultiert. Sie unterliegt daher nach überwiegender Auffassung dem Insolvenzstatut. Die Frage der Geschäftsführerhaftung für Zahlungen nach Insolvenzreife (§ 64 Satz 1 GmbHG a.F.) hat der EuGH in der Rechtssache "Kornhaas" gleichfalls insolvenzrechtlich i.S.d. Art. 4 EuInsVO a.F. (= Art. 7 EuInsVO) qualifiziert. Im Einklang mit den Vorgaben des EuGH hat der BGH entschieden, dass die deutsche Vorschrift des § 64 Satz 1 GmbHG a.F. auch auf die Direktorin einer walisischen Limited mit Niederlassung in Deutschland anwendbar ist.